2014/10/15

Erziehungsfähigkeit - Pseudowissenschaft in familiengerichtlichen Gutachten - Informationen zu Gutachten im Familienrecht - Und die schon vom Ansatz her idiotische Fragestellung nach der "Erziehungs(un)fähigkeit"



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Der Begriff Erziehungsfähigkeit hat im Familienrecht eine zentrale Bedeutung, wenn sich die Eltern nach einer Trennung nicht über die Regelung des Umgangs mit ihren minderjährigen Kindern einigen können. Insbesondere konservative Familiengerichte beauftragen dann regelmäßig Gutachter, die darüber befinden sollen, wer der "bessere" Elternteil ist, dem der Lebensmittelpunkt zuerkannt werden soll.


Männer werden zum Hass auf Frauen erzogen

Inhaltsverzeichnis

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Aktueller Hinweis auf WDR-Doku "Mut gegen Macht - Wenn Gerichtsgutachten Familien zerstören"

Wenn Väter gegen den Willen der Mutter Umgang anstreben, werden von Familienrichtern oftmals voreingenommene Sachverständige aufgeboten, um die Erziehungsfähigkeit des Vaters in Zweifel zu ziehen. Diesem Thema hat der WDR eine fünfteilige Dokureihe gewidmet. Die erste Folge wird am 13.Oktober 2014 um 20.15 Uhr ausgestrahlt.[1] Unter dem unten bei den "Nachweisen" gelisteten Link ist ein dreiminütiges Video als Vorschau abrufbar. 


Definition 

 

In ihrem Buch Familienrechtspsychologie (ISBN 3-8252-8232-5) definieren Harry Dettenborn und Eginhard Walter den Begriff wie folgt:
"Erziehungsfähigkeit bedeutet, an den Bedürfnissen und Fähigkeiten eines Kindes orientierte Erziehungsziele und Erziehungs­ein­stellungen auf der Grundlage angemessener Erziehungs­kenntnisse auszubilden und unter Einsatz ausreichender persönlicher Kompetenzen in der Interaktion mit dem Kind in kindeswohl­dienliches Erziehungs­verhalten umsetzen zu können." [2]
Als mögliche Erziehungsziele nennen die Autoren beispielhaft Normorientierung, Individualität (Erwartungen an eine mehr oder minder unabhängige, selbst­bewusste und selbst­ständige Lebens­führung), soziale Kompetenz, Leistungsorientierung, Bildung, Geschlechts­rollen­verhalten, soziale Konformität, Befolgung von Prinzipien und Kreativität. Dabei sagen sie, dass Bewertungen der Erziehungs­fähigkeit zurückhaltend vorzunehmen seien und nicht abwertend sein sollten. Grundsätzlich wäre eine Vielfalt von Erziehungs­verhalten und Verhaltens­dispositionen zu tolerieren, sofern eben nicht Grund­be­dürfnisse des Kindes verletzt oder dessen Fähigkeiten ignoriert würden.[3]

Fehlende wissenschaftliche Absicherung

In der Praxis stellt sich das Problem der Feststellbarkeit und objektiven Messbarkeit von Erziehungs­fähigkeit.[4] Wohl nicht zuletzt deshalb spielt der Begriff außerhalb familiengerichtlicher Verfahren keine Rolle. So werden sich zwar viele Lehrer über die Erziehungskompetenz der Eltern ihrer Schüler Gedanken machen, ohne dabei jedoch auf die Idee zu kommen, den Begriff Erziehungs­fähigkeit zu benutzen, geschweige denn untersuchen zu wollen, wie es um die Erziehungs­fähigkeit der Eltern bestellt wäre. Ganz anders dagegen in familien­gerichtlichen Verfahren. Hier wird häufig der Begriff Erziehungs­fähigkeit benutzt, obwohl dieser Begriff im Gesetz an keiner einzigen Stelle zu finden ist.[5]
Erziehungsfähig oder nicht erziehungsfähig, das ist hier die Frage
Die Erziehungsfähigkeit ist, wie jeder, der beruflich mit Kindern zu tun hat, weiß, eine relationale Fähigkeit. Das heißt, ein und dieselbe Person kann bezüglich eines Kindes mehr erzieherische Kompetenzen haben und zu einem anderen Kind geringere erzieherische Kompetenzen. Dies ist der normale Alltag von Eltern wie auch von Lehrern. An einem Kind verzweifelt der Lehrer fast und glaubt bald daran, generell als Lehrer zu versagen, mit anderen Kindern aus derselben Klasse kommt der Lehrer sehr gut zurecht. Ebenso geht es Eltern, mit der pubertierenden Tochter schreit sich ein Vater an, mit dem fünfjährigen Sohn klappt es wunderbar. Aus diesen Gründen ist die Frage nach einer generellen Erziehungs­fähigkeit von Eltern unsinnig und unpräzise, vielmehr muss immer konkret benannt werden, im Hinblick auf wen die Erziehungs­fähigkeit beurteilt werden soll.[5]
Warum lässt sich eine "Erziehungsfähigkeit" gar nicht messen?
Der Begriff Erziehungsfähigkeit unterstellt, dass Menschen eine angeborene und messbare Eigenschaft oder Fähigkeit zum Erziehen besäßen. Es wird unterstellt, wenn man Menschen nur nach bestimmten Merkmalen untersuchen würde, dann könne man sagen, ob sie diese Fähigkeit hätten oder nicht. Dabei wird eine künstliche Einteilung von Menschen vornommen in solche, die erziehen können und anderen, welche nicht erziehen können. Gleichzeitig wird unterstellt, dass für eine förderliche Entwicklung eines Kindes nur die richtige Erziehung zum Erfolg führe. Kinder werden hier wie ein Stück Knete betrachtet: Wer die richtigen Modellier­fähigkeiten sprich Erziehungsfähigkeiten besäße, so wird geglaubt, kann aus dem Stück Knete einen psychisch gesunden Menschen formen ...
Fragt man Gutachter danach, an welchen Merkmalen sie nun erkennen können, ob ein Mensch erziehungsfähig sei, erhält man grundsätzlich keine klaren Antworten und schon gar keine wissenschaftlich fundierten Begründungen. Denn das Konstrukt Erziehungs­fähigkeit birgt folgende Schwierigkeiten, welche in gutachterlicher Hinsicht zur Unmöglichkeit einer Beantwortung der Beweisfrage führt:
  • Das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" kennt weder die Pädagogik (= Wissenschaft von der Erziehung) noch die Sozial-Pädagogik
    In den Erziehungs­wissen­schaften ist eine "Erziehungs­fähigkeit" als mess- oder beschreibbare Eigenschaft nicht bekannt. Jeder Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge, der behauptet man könne "Erziehungs­fähigkeit" konkret umschreiben, hat keine Ahnung.
  • Das Konstrukt "Erziehungsfähigkeit" ist auch in der Psychologie unbekannt
    Auch die wissenschaftliche Psychologie kennt das Konstrukt "Erziehungs­fähigkeit" nicht:[6]
  • "In psychologischen Sachverständigengutachten finden sind immer wieder Aussagen über die Eignung der Eltern zur Erziehung ihres Kindes. Die Vorstellung, eine positiv zu konstatierende erzieherische Eignung der Kindeseltern ließe sich als entscheidendes Kriterium feststellen, hat in der Tat etwas Bestechendes für sich. Unausgesprochen wird dabei von der Fiktion ausgegangen, beide Elternteile verfügten über eine graduell unterschiedliche erzieherische Eignung, und dies ließe sich auch noch mit der wissenschaftlich gebotenen Exaktheit diagnostizieren. Leider haben wir aber keine speziell für die erzieherische Eignung geeichten psychologischen Untersuchungs­verfahren. Darum sind Aussagen über ein Mehr oder Weniger an erzieherischer Eignung bei den Kindeseltern Extrapolationen anderer Untersuchungs­ergebnisse, also nicht exakt, wenn sie nicht gar subjektive Meinungen und Deutungen sind." (Zitat Ende - Hervorhebungen Unterzeichner)
    Es existieren keine anerkannten wissenschaftlichen Methoden, um das Konstrukt Erziehungsfähigkeit in beweis­erheblichem Sinne messen zu können.
Auch wenn die Autoren Westhoff und Kluck glauben, es handele sich um seltene Fälle, wenn das Gericht Frage­stellungen vorlegt, zu denen in der Psychologie kein Wissen vorliegt:
"In seltenen Fällen werden Fragestellungen geäußert, zu denen in der Psychologie kein Wissen vorliegt bzw. kein Wissen vorliegen kann, weil die empirische Untersuchung solcher Sachverhalte prinzipiell nicht möglich ist. [...] Handelt es sich also um eine prinzipiell nicht zu beantwortende Fragestellung, so erklären wir dies dem Fragesteller. Im Gespräch kann eventuell gemeinsam eine Fragestellung zur Lösung des Problems gefunden werden, die auch untersucht werden kann." [7]
so sagen sie ganz klar, wie ein Gutachter zu reagieren hat, damit er seinen Auftrag erfüllen kann.
Fazit
Eine wissenschaftlich fundierte Aussage zur Frage, ob jemand erziehungsfähig sein soll, ist nicht möglich. Im juristischen Sinne lässt sich daher weder beweisen ob jemand erziehungsfähig ist, noch lässt sich generell eine Aussage treffen, dass eine Person erziehungsfähig sein könne. Auch die öfters in Gutachten anzutreffende Feststellung einer eingeschränkten Erziehungsfähigkeit lässt sich mit wissenschaftlichen und damit beweiserheblichen Methoden nicht belegen.[4]
http://de.wikimannia.org/Erziehungsf%C3%A4higkeit 

Pseudowissenschaft in familiengerichtlichen Gutachten

oder: Die Probleme psychologischer Gutachten bei erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen
http://jugendamtwatch.blogspot.de/2012/03/pseudowissenschaft-in.html

Gutachten im familiengerichtlichen Verfahren - Die Teilnahme an der Begutachtung ist freiwillig - Eine Zwangsbegutachtung ist im familiengerichtlichen Verfahren nicht erlaubt 

http://jugendamtwatch.blogspot.de/2013/01/gutachten-im-familiengerichtlichen.html 

GutachterInnen - Die Familie und ihre Zerstörer - Was schief läuft und was anders werden muss – Eine überfällige Debatte 

http://jugendamtwatch.blogspot.de/2013/10/gutachterinnen-die-familie-und-ihre.html 


Informationen zu Gutachten im Familienrecht - Und die schon vom Ansatz her idiotische Fragestellung nach der "Erziehungs(un)fähigkeit" 

http://jugendamtwatch.blogspot.de/2013/11/informationen-zu-gutachten-im.html 


 

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