2013/11/22

Geschichte der Jugendhilfe bis zum heutigen KJHG




1. Einleitung
2. Die Ursprünge der Kinder- und Jugendfürsorge
    2.1. Die Gründungsphase    
    2.2,,Erziehung" im Zuchthaus
    2.3 Kinderleben ohne Spiel
3. Private Kinder- und Jugendfürsorge im 19. Jahrhundert
   
3.1 Begrenzung der Kinderarbeit
    3.2 Entdeckung der Berufsvormundschaften
4. Jugendhilfe in der Weimarer Republik
   
4.1 Die Situation der Jugendlichen in der Weimarer Republik
    4.2 Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz
5. Jugendhilfe im NS-Staat
   
5.1 Der NS-Staat und das RJWG
    5.2 Die NSV-Jugendhilfe
    5.3 Die ,,Hitler-Jugend"
6. Jugendhilfe nach 1945
7. Schlussbetrachtung
8. Quellenangabe





1. Einleitung


Im heutigen Sprachgebrauch umfasst der Begriff ,,Jugend" zwei Bedeutungen. Zum einen definiert er eine bestimmte Altersphase im Leben eines Menschen, genannt die ,,Jugendzeit". Zum anderen beschreibt er die Gesamtheit der jungen Menschen, die Jugendlichen. Die Jugendphase hat sich, ebenso wie andere Phasen im Lebenslauf, im letzten Jahrhundert gewandelt. Hurrelmann (1997) führt dies auf die Verlängerung der Lebensdauer und die stärkere Unterteilung der Lebenspanne in einzelne Lebensphasen zurück.
Der typische Lebenslauf im Jahre 1910 bestand schlicht aus der Kindheits- und Erwachsenenphase. Um 1950 bildete sich die ,,Jugendphase" als erste Übergangszeit vom Kind zum Erwachsenen sowie die Lebensphase ,,Ruhestand" heraus. Diese beiden neu definierten Lebensphasen hatten in der damaligen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. Zu Beginn der 90er Jahre dehnte sich die Jugendphase zeitlich weiter aus und das ,,Nachjugendalter" kam als weitere Zwischenstation hinzu.
Durch diese Abgrenzungen der Kindheitsphase zur Jugend- und Erwachsenenphase hat sich folgende Unterteilung der Lebensphase Jugend durchgesetzt, wobei die Übergänge fließend und von Mensch zu Mensch verschieden sind (Schäfers 1998, S.22):


7. die 13-18jährigen (pubertäre Phase): Jugendliche im engeren Sinn
8. die 18-21jährigen (nachpubertäre Phase): die jugendlichen Heranwachsenden
9. die 21-25jährigen und ggfs. Älteren (Nachjugendphase)



Die Jugendzeit ist geprägt von der Suche nach der eigenen Identität. Probierhandlungen, ,,Rollenexperimente", Distanzierungshandeln und Regelverletzungen sind typisch für diese Phase. Auch hochentwickelte Industriegesellschaften wie Deutschland zeichnen sich nicht nur durch Erfolg, Leistung und Fortschritt aus. Kennzeichnend sind auch Arbeitslosigkeit und soziale Armut. Jugendliche in Deutschland kämpfen zwar nicht mehr mit Hungersnot und Kinderarbeit, doch eine Zeit die permanenten Leistungsdruck, lebenslanges Lernen, uneingeschränkte Flexibilität und eine ständige Auseinandersetzung mit den Neuen Medien fordert, bietet den Jugendlichen im 21. Jahrhundert nicht unbedingt eine optimale und unbeschwerte Entwicklung vom Kindheits- zum Erwachsenenalter. So entstehen viele Problemlagen bei Kinder und Jugendlichen, die aber durch professionelle Hilfe behoben werden können. Nach einer Definition von Jordan/Sengling 1994, S. 12 stellt die Jugendhilfe einen Ausschnitt aus der Sozialpädagogik dar. Sie richtet sich an Kinder, Jugendliche und ihre Familie. Für die Jugendhilfe gilt es, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, durch soziale Arbeit Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen, sowie Sorge zu tragen für positive Lebensbedingungen und eine kinder- und familienfreundliche Umwelt. Jugendhilfe umfaßt (!) demnach allgemein fördernde, direkt helfende und politische Aufgabenbereiche. Im Mittelpunkt steht der Erziehungsgedanke.

Jugendhilfe in der heutigen Zeit ist ein engmaschiges Netz mit vielen verschieden Handlungsfeldern, Leistungen und Arbeitsmethoden. Doch wo liegen die Ursprünge der Jugendhilfe, wer leitete die Anfänge und wie entwickelte sich die Jugendhilfe zu einer unentbehrlichen Institution wie sie heute ist?
Dieser Einblick in die Geschichte der Jugendhilfe ist Thema meiner Hausarbeit.




2. Die Ursprünge der Kinder- und Jugendfürsorge


Die Ursprünge der Kinderfürsorge liegen im späten Mittelalter als kirchliche Stiftungen in den Städten Findel- und Waisenhäuser einrichteten. Vorher wurden elternlose Kinder in Armenfürsorgeeinrichtungen eingewiesen.



a. Die Gründungsphase

 lwesens konnten Findel- und Waisenkinder, die nicht von ihrer Großfamilie oder eine der Zünfte versorgt wurden, in Einrichtungen für ausgesetzte Kinder, aufgenommen werden. In der Praxis dieser frühen Kinderfürsorge sind die beiden noch heute bestehenden Grundformen der Ersatzerziehung, die Familienpflege und die Anstaltserziehung, zu erkennen. Säuglinge und Kleinkinder wurden wegen ihrer hohen Sterblichkeitsrate von Ammen aufgezogen und erst im Alter von fünf bis sieben Jahren in den Anstalten aufgenommen. Um die Kosten möglichst gering zu halten, beschäftigte man sie mit einfachen Haus- und Heimarbeiten oder ließ sie für das Hospital und die Stiftung um Almosen betteln. Durch die mittelalterliche Ständegesellschaft wurde die Armut als gottgewollt betrachtet und somit stellte dies keine sozial verachtete Tätigkeit dar. Die Arbeit der Findel- und Waisenhäuser beschränkte sich auf das nötigste. Eine zielgerichtete Erziehung oder Berufsausbildung wurde nie angestrebt.
Diese eher bescheidene Anfänge der Kinderfürsorge unterlagen sehr bald den politischen und ökonomischen Entwicklungen. Der Übergang von der bäuerlich und kirchlich-landesherrlich strukturierten Ordnung der Fürstenstaaten zum urban-organisierten Bürgerstaat hatte große Auswirkungen auf die Armen und deren Kinder. Der gesellschaftliche Transformationsprozess gefördert durch Humanismus, Reformation und Protestantismus rückte die Produktivität ins Zentrum des zeitgenössischen Menschenbildes. Arbeit und Ertrag sowie Stand und Besitz galten als Beweis für ein gottgefälliges Leben, Vorsehung und Erwählung. Daraus entwickelte sich eine Arbeits- und Lebenshaltung, die Max Weber später als ,,protestantischen Arbeitsethos" 1 bezeichnete. Damit war mit Beginn der Neuzeit das System der Armenkinderpflege gescheiter. Armut galt als Ausdruck von Arbeitsscheue und persönlichem Versagen. Unmenschliche Gesetze, ,,Erziehung" in Zuchthäusern und grausame Repressalien galten Bettlern, Landstreichern und Arbeitslosen. Die Strafen für die Aussetzung von Kinder wurden verstärkt. Aber solche und andere Versuche wie die Geburtenkontrolle und das Heiratsverbot verhinderten nicht das Anwachsen der Zahl unversorgter Kinder. Nach dem dreißigjährigen Krieg waren vor allem die Kinder der Armen in Not. Sie wurden gezwungen in Produktionsstätten geldgieriger Unternehmer zu arbeiten, da die Möglichkeit der Ausbeutung bei diesen hilfslosen Arbeitskräften grenzenlos war und den Wohlstand des Landes und der Herrscher sicherte.




b. ,,Erziehung" im Zuchthaus


,,Arbeitsscheue Bettler, gerichtlich abgeurteilte Verbrecher, aufsässige Kinder, gebrechliche Alte, verarmte Witwen, Waisenkinder und Prostituiert, venerisch Kranke und Wahnsinnige: Keine Randgruppe der absolutistischen Gesellschaft, die nicht ihr Kontingent zur Belegung der Zwangsanstalten beigesteuert hätte, die Elemente der Armenfürsorge, der medizinischen Betreuung, des Strafvollzugs und merkantiler Wirtschaftsförderung in eigentümlicher Weise verknüpften"2. Die neu eingerichteten Zucht- und Arbeitshäuser erfüllten in der Nachkriegszeit im 17. Jahrhundert als Institution staatlicher Fürsorge eine doppelte soziale Funktion: Erstens wurden die Insassen nach zeitgenössischer Auffassung moralisch gebessert und zur Arbeit erzogen, was die ,,Gefährdeten" außerhalb der Anstalten zu normkonformen Verhaltensweisen veranlassen sollte. Zweitens war die Schrittmacherfunktion der Anstalten zu sehen, die sie für die Heranbildung einer fügsamen und genügsamen Arbeiterschaft und für die Entstehung der Großproduktion in Manufakturen und Fabriken, innehatte. Unternehmer fanden in Zucht- und Arbeitshäusern eine rentable Produktionsstätte.
Der Arbeitstag war für Kinder und Erwachsene gleichermaßen lang und hart. Es galten die selben Arbeitsbedingungen. Beginn der Arbeit war fünf Uhr morgens bis acht Uhr abends, die einzigen Unterbrechungen waren karge Mahlzeiten und Gebetsstunden.




c. Kinderleben ohne Spiel


Die von August Hermann Francke (1663-1727) 1694 gegründeten Hallesche Anstalten waren im Aufbau ähnlich den Zuchthäusern nur mit pietistischem Hintergrund. In diesen Zuchtanstalten kam es nicht so sehr auf Ausbeutung an, wie es üblicherweise legitimiert durch den Staat der Fall war, vielmehr sollten die Kinder unter permanenter Aufsicht in ,,christlicher Demut und in unbedingter Unterordnung und Fleiß, die natürliche Eigenwilligkeit des Menschen gebrochen"3 werden. Beten und Arbeiten galten als die einzigen Möglichkeiten ,,der Bösartigkeit des Kindes entgegenzuwirken (...), während das Spiel als Müßiggang, der aller Laster Anfang ist, verboten war (...)"4
Halle entwickelte sich mit 3000 Schülern zu einer Waisen-, Schüler-, und Studentenstadt. Franckes Stiftungen genossen großen Zulauf, woraufhin weitere Anstalten mit teilweise noch härteren Erziehungsmaßnahmen gegründet wurden. Ein üblicher Tagesablauf in solch einer Anstalt bestand aus fünf Stunden Unterricht, sechs Stunden körperlicher Arbeit und drei Stunden Andachtsübungen.
Der Aufklärungspädagoge Christian Gotthilf Salzmann bezeichnete die Zustände in der überwiegenden Zahl der Waisenhäuser und Kinderanstalten seiner Zeit als solche, in denen die Kinder ,,in Not und Verkommenheit" lebten und die Atmosphäre ,,durch eine Mischung aus Arbeit, Prügel und Frömmelei"5 bestimmt wurde.




3. Private Kinder- und Jugendfürsorge im 19. Jahrhundert


Durch die Industrialisierung gerieten vor allem die Arbeiterkinder in Not. Durchgreifende Reformen im Schulwesen und allgemein karikativen Erziehungsinstitutionen wurden verhindert und die Einrichtungen der Kinder- und Jugendfürsorge litten an der finanziellen Not der Städte. Auch die kirchlichen und privaten Hilfsorganisationen konnten dem nicht entgegenwirken und beschränkten die öffentlichen Hilfeleistungen zum Ende des 19. Jahrhundert auf Armenpflegeleistungen, Waisenpflege, Pflegestellekontrolle und Zwangs-(Fürsorge)erziehung.
In der wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Umbruchsituation veränderte sich aber die Einstellung zum Kind entscheidend. Trotz der bedrückenden und ausweglos scheinenden Stellung der Kinder und Jugendlichen bildete sich um die Jahrhundertwende eine erste Tendenz, die Erziehungs- und Lebensbedingungen der Jugendlichen zu verbessern. Dieser Beginn der Jugendhilfe wurde hauptsächlich von der Frauenbewegung vorangetrieben. Daraus entstand eine Art ,,Jugendfürsorgebewegung", die die Jugendfürsorge ,,als außerfamiliäre und außerschulische Erziehung"6 verstand.
Durch die Bevölkerungstheorien des Engländers Thomas Robert Malthus (1766-1834), die an den Sozialdarwinismus erinnern, schwand das staatliche Engagement auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendfürsorge. Parallel dazu entwickelten sich die privaten und religiösen Hilfsorganisationen zu stark benötigten Institutionen. Die bekannteste Organisation war die ,,Rettungshausbewegung", die zuerst im süddeutschen Raum entstand. Als Vorbild diente die ,,Wehrli-Schule", die 1799 von Philip Emanuel von Fellenberg gegründet und 1810 von Johann Jakob Wehrli übernommen wurde. Der bedeutenste Vertreter der Rettungshausbewegung hieß Johann Heinrich Wichern (1808-1881) und stammte aus dem Norddeutschland. Er gründete 1833 in Horn bei Hamburg das ,,Rauhe Haus". Durch den großen Erfolg entstand danach das ,,Brüderhaus", das die erste sozialpädagogische Ausbildungsstätte in Deutschland war. Durch Straffälligenfürsorge, publizistische Tätigkeiten und Aktivitäten in Wohnbezirken wollte Wichern Not und Elend der Jugendlichen bekämpfen und dem Verfall der christlichen Staats- und Gesellschaftsordnung entgegenwirken. Wicherns Erziehungskonzepte beinhalteten familienähnlichen Charakter, Verteilung der Verantwortung, Verbindung von theoretischer Ausbildung und Werkbildung, sowie Integration der Freizeit in den Erziehungsprozess. Vor allem die Arbeitserziehung, wie z.B. eine handwerkliche Ausbildung spielte eine große Rolle
Da es aber der Zustimmung der Erziehungsberechtigten bedurfte, um in den Einrichtungen aufgenommen zu werden, konnten straffällige Kinder- und Jugendliche die unter der Kontrolle der Armenpolizei standen, nicht aufgenommen werden. Sie wurden stattdessen den Armen- und ,,Corrections"-Anstalten überführt.
Im 19. Jahrhundert entstanden auch parallel die ersten Einrichtungen für Behinderte, Armen- und Mädchenschulen, Kinderschutzkommissionen und Jünglingsvereine. Auch die Ursprünge des Kindergartens fallen in diese Zeit. Hier stand die kindliche Persönlichkeit im Vordergrund, die von qualifizierten Berufserziehern gefördert werden sollte.




3.1 Begrenzung der Kinderarbeit


Die Kinderarbeit war eine regelmäßige Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren oder noch schulpflichtigen Kindern in Gewerbe, Land- oder Hauswirtschaft. Sie breitete sich Ende des 18. Jahrhunderts mit Beginn der Industrialisierung aus und hatte schwere gesundheitliche und moralische Schädigungen der Kinder zur Folge. Die Auswüchse der Kinderarbeit wurden zuerst in Preußen durch das ,,Regulativ über die Beschäftigung von Jugendlichen in Fabriken" vom 6. April 1839, dann durch die gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung und das Kinderschutzgesetz von 1903 bekämpft. Für Kinder unter neun Jahren sowie Kinder unter sechzehn Jahren, die noch keinen dreijährigen Schulunterricht erhalten hatten, galt dieses Arbeitsverbot. Für unter sechzehnjährige wurde zudem die Nacht- und Sonntagsarbeit verboten, und die Arbeitszeit auf zehn Stunden täglich beschränkt. Ziel der Arbeitsverbote war auch die Kinder im Bereich der Heimindustrie vor Ausbeutung und Misshandlung durch die eigenen Eltern zu schützen, da diese meist als (Sub-)Unternehmer ihrer eigenen Kinder auftraten.



3.2 Entdeckung der Berufsvormundschaften


Die Lage der Kinder hatte sich im 19. Jahrhundert allgemein verschlechtert, doch besonders betroffen waren die nichtehelichen, zumeist in Pflegestellen untergebrachten ,,Zieh-, Halte- oder Kostkinder". Diese Kinder wurden oft in ungeeignete, z.T. gewerblich betriebene Pflegestellen gegeben. Unhygienische Verhältnisse, Unterernährung und räumliche Enge führten zu ungewöhnlich hohen Sterbeziffern. Zudem wurden ältere Kinder extensiv ausgebeutet.
In vielen Orten versuchte man das Vormundschaftswesen neu zu ordnen. Und so entwickelten sich neben herkömmlichen Einzelvormundschaften neue Formen der vormundschaftlichen Betreuung: die Berufsvormundschaften.
Die ältesten Berufsvormundschaften gehen auf Max Taube, Arzt der Leipziger ,,Ziehkinderanstalt" zurück, eine Einrichtung zur Betreuung von Pflegestellen. Auf Taubes Antrag wurde die Anstalt, die mit Hilfe bezahlter Pflegerinnen Säuglingsfürsorge Pflegemütterschulung betrieb, Vormund. Diese Vormundschaft umfasste 1883 alle gegen Entgelt bei fremden Familien untergebrachten Kinder, sie wurde 1891 auch auf die bei Verwandten gegen Entgelt untergebrachten unehelichen Kinder und 1900 auf alle unehelichen Kinder, gleich wo sie untergebracht waren, ausgedehnt.
Das Entscheidende an dieser neuen Form der Vormundschaft war, dass sie eine engere Verbindung von Vormundschaft und Erziehung sichern sollte und dass eine Person eine Vielzahl von Vormundschaften auf sich vereinigen konnte, was eine berufsmäßige Ausübung dieses Amtes ermöglichte.




4. Jugendhilfe in der Weimarer Republik


a. Die Situation der Jugendlichen in der Weimarer Republik

Neben den kirchlichen Jugendverbänden entstanden in der Zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch andere bürgerlich-nationale Bildungs-, Jünglings-, Gesellen- und Erziehungsvereine. Auch diese Institutionen legten großen Wert auf gesellschaftliche und nationale Erziehung, sinnvolle Freizeitausfüllung, berufliche Fortbildung, religiös-sittliche Beeinflussung etc. Die vorbeugenden Maßnahmen einer Verwahrlosung der Jugendlichen spielten eine große Rolle.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelten sich viele verschiedene Neuansätze der Erziehung. Hierbei war die deutsche Jugendbewegung besonders prägend. Diese zeichnete sich durch ,,die Entdeckung der Natur und des Wanderns; die Entdeckung der jugendlichen Gleichaltrigengruppe als besonderen Erlebnis- und Selbsterziehungsbereich(...)"7 aus.
Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg entstanden in Deutschland Probleme, die die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen aus Arbeiterfamilien verschlechterte. Ernährungsmängel, Wohnungsnot, unvollständige Familien, außerhäusliche Arbeit der Frauen waren einige Ursachen der auftretenden Defizite, die verstärkt zu abweichendem und unsozialem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen führten. Diesem Problemdruck zeigten sich weder die überholte Kinder- und Jugendfürsorge noch die vorbeugende Jugendfürsorge gewachsen. Dies lag hauptsächlich an der Ineffektivität des staatlichen Handels und der Aktivitäten privater Organisationen. Aber auch an der organisatorischen und rechtlichen Zersplitterung der zum Handeln berechtigten und verpflichteten Instanzen. Nach der Reichsverfassung von 1871 fiel die Kinder- und Jugendfürsorge in die Kompetenz der Länder. Für die Fürsorgeerziehung waren einheitlich nur die Eingriffsgrundlagen, nicht aber die Zuständigkeiten geregelt. Erziehung und Hilfe zur Berufsausbildung gehörten nur in einigen Staaten zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben, die wirtschaftliche Fürsorge zählte noch zum Armenrecht. Dementsprechend herrschte in der Ausführung der Jugendhilfe ein großer Kompetenzwirrwarr. Daher wurde 1918 auf dem Jugendfürsorgetag eine reichseinheitliche Regelung der öffentlichen Jugendhilfe gefordert, ein ,,Reichsjugendwohlfahrtsgesetz". 






b. Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz 
 

Mit der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes (RJWG) durch den Deutschen Reichstag am 9. Juli 1922 wurde erstmals ein einheitliches Recht für das deutsche Reich geschaffen, dass die öffentliche und freie Jugendhilfe zu organisieren versuchte. Als Reaktion auf die weitreichenden Veränderungen in der Gesellschaft und in der Lebenswelt der Jugendlichen, wurde mit dem Gesetz versucht, zum ,,Wohle der Kinder" staatliche Hilfen bereitzustellen und dabei private Hilfen miteinzubeziehen. Dazu heißt es in § 1 RJWG:

,,Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit. Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung werden durch dieses Gesetz nicht berührt. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten ist ein Eingreifen nur zulässig, wenn ein Gesetz es erlaubt. Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird, tritt, unbeschadet der Mitarbeit freiwilliger Tätigkeit, öffentliche Jugendhilfe ein."

Die nun gebildeten Jugendämter vereinten bei sich die Befugnisse der Amtsvormundschaft, die ihnen für alle unehelich geborenen Kinder übertragen wurden und der Fürsorgeerziehung (FE) oder eigener Jugendpflegemaßnahmen. In den Jugendwohlfahrtsausschüssen wurde das Zusammenwirken der öffentlichen und privaten Träger geplant und ausgeführt. Weitere grundlegende Festlegung des RJWG war die Zusammenfassung der Jugendpflege und Jugendfürsorge für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen und die Konzentrierung der örtlichen öffentlichen Jugendhilfe im Jugendamt der Stadt oder der Kreise. Neben den genannten Pflichtaufgaben sollte das Jugendamt auch nach § 4 RJWG ,,Einrichtungen und Veranstaltung anregen, fördern und gegebenenfalls schaffen für (1.) Beratung in Angelegenheiten der Jugendlichen; (2.) Mutterschutz vor und nach der Geburt; (3.) bis (6.) Wohlfahrt der Säuglinge, der Kleinkinder, der im schulpflichtigen Alter stehenden Jugend, der schulentlassenen Jugend"8
Nach dem Inkrafttreten 1924 geriet das neue Jugendhilfegesetz jedoch schon unter erheblichen Druck. Infolge der politischen Entwicklung in Deutschland wurde durch das Ermächtigungsgesetz vom 8.12.1923 der Staat und damit die Jugendämter von der Verpflichtung enthoben, die Bestimmung des RJWG durchzuführen. Dazu wurde, unter anderem, das Höchstalter in der Fürsorgeerziehung herabgesetzt.
Das RJWG war ein ,,für die Zeit außerordentlich fortschrittliches Gesetz", jedoch bleibt es wegen der Finanzmisere der Weimarer Republik und vielen Spannungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Ausführung hinter den Erwartungen zurück und kommt nie voll zum tragen.9
Über die Novellen des RJWG von 1953, 1961 (Jugendwohlfahrtsgesetz, JWG) und 1980 hatte das Gesetz jedoch in seinen Grundzügen in der Bundesrepublik Deutschland Bestand bis zur Verabschiedung des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) von 1990.




5. Jugendhilfe im NS-Staat


5.1 Der NS-Staat und das RJWG


Die Machtergreifung der NSDAP hatte für die gesamte junge Generation tiefgreifende Folgen. Ab dem 5.3.1933, dem Tag der Reichstagswahlen und dem Reichstagsbrand vom 27.2.1933 konnten die demokratischen Verbände ihre Arbeit nicht mehr legal fortsetzen und es erfolgte eine tiefgreifende Umstrukturierung der Jugendhilfe. Das geschah nicht durch Gesetzesänderungen, sondern über den Weg einer großzügigen Interpretation und ausgedehnten Nutzung der nach dem RJWG gegebenen Möglichkeiten. 1939 wir die Organisation des Jugendamtes allerdings dahin geändert, dass statt der kollegialen Leitung dem Bürgermeister bzw. dem Landrat die Geschäftsführung übertragen wurde. Außerdem sollten die rechtlichen Bestimmungen des RJWG so ausgelegt werden, dass damit eine ,,Erziehung im nationalsozialistischen Sinne"10 gesichert werden konnte. Die damit gemeinten Erziehungsziele kommen im §1 der 1939 erlassenen ,,Verordnung über Jugendwohlfahrt in den Sudetendeutschen Gebieten" zum Ausdruck, in dem -abweichen vom § 1 RJWG formuliert wird:
,,Die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Staat ist Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft. Ziel der Erziehung ist der körperlich und seelisch gesunde, sittlich gefestigte, geistig entwickelte, beruflich tüchtige deutsche Mensch, der rassenbewusst in Blut und Boden wurzelt und Volk und Reich verpflichtet und verbunden ist. Jedes deutsche Kind soll in diesem Sinne zu einem verantwortungsbewußten (!) Glied der deutschen Volksgemeinschaft erzogen werden."
Um in der Praxis der Jugendhilfe diesen neuen Erziehungszielen zum Durchbruch zu verhelfen, werden ab 1933 durch entsprechende Erlasse und Verordnungen, durch Parteianweisungen Auf- bzw. Ausbau eigener Organisationen die Grundlagen geschaffen.




5.2 Die NSV-Jugendhilfe


1933 wurde die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) gegründet und als ein der NSDAP angeschlossener Verein anerkannt. Je nach Auftrag und Aufgabenstellung sah sich die NSV verantwortlich ,,für alle Fragen der Volkswohlfahrt und Fürsorge"11. Die NSV hatte auf mehreren Ebenen zugriff:

1. als Teil der NSDAP konnte die NSV sich auf die Macht, den Einfluss und die Angst vor Sanktionen der NS-Partei stützen
2. ein amtlicher Auftrag und Handlungsspielraum wurde der NSV durch die 1934 vorgenommene Übertragung des ,,Hilfswerks Mutter und Kind" gewährt
3. die im RJWG verankerten Sicherungen zugunsten der privaten und konfessionellen Verbände kamen letztendlich auch der NSV zugute, die über dieses Privileg große Teile der Jugendfürsorge von den Jugendämtern übernehmen kann.


Die NSV war sich ihrer privilegierten Stellung durchaus bewusst und nutzte diese um sich ,,für die Besserung von Erbgut, Rasse, Gesundung und Leistungssteigerung" einzusetzen.
Zudem wurden ihr alle karitativen Aufgaben, die den anderen Verbänden (Caritas, Innere Mission und Rotes Kreuz) vorbehalten blieben, übertragen. Die Aufgaben der NSV als Parteidienststelle der NSDAP forderte die Auseinandersetzung mit ,,rassisch und erbbiologisch minderwertigem Menschenmaterial"12.
Mit dem Hintergrund dieser Selektionsprinzipien unterteilte die Jugendfürsorge im NS-Staat die Jugendlichen in drei Kategorien:


1. erbgesund, normal begabt, lediglich erziehungsgefährdet
2. stärker gefährdet, erbminderwertig, schwererziehbar aber resozialisierbar
3. schwersterziehbar, anlage- oder charakterbedingt kaum noch besserungsfähig


Für die erstgenannte Gruppe gründete die NSV kleine, offene, ähnlich der Familie strukturierte Heime mit Kontakten zur Hitlerjugend. Diese Form der Erziehung wurde als Erziehungsfürsorge bezeichnet und trennte sich deutlich von der klassischen Fürsorgeerziehung. Für die Arbeit mit dieser ersten Gruppe galt der Grundsatz, dass ,,kein Mittel zu teuer und kein menschlich-persönlicher Einsatz zu wertvoll sein dürfe, um diese Jugend der Volksgemeinschaft als wertvolle Glieder zuzuführen"13
Die zweite Gruppe von Kindern und Jugendlichen, denen aufgrund erblicher Minderausstattung nur noch eine bescheidene Erziehungsfähigkeit zugesprochen wurde, blieb es bei der Anordnung von Fürsorgeerziehung (FE), die überwiegend in konfessionellen Anstalten durchgeführt wurde.
Die letzte Gruppe wurde ab 1040 in die polizeilichen Jugendschutzlager abgeschoben, wo mit militärischem Drill und hartem Zwang eine Dauerunterbringung ähnlich wie in Konzentrationslagern erzwungen wurde. Das 2durchweg schlechte Menschenmaterial" wurde typenmäßig gesichtet und in Blöcke für Untaugliche, charakterlich Abartige, Dauerversager, Gelegenheitsversager, fragliche Erziehungsfähige und erziehungsfähige unterteilt. Eine Entlassung aus diesen Zwangslagern für über 16jährige Jugendliche war grundsätzlich nicht vorgesehen. Sobald die Unerziehbarkeit endgültig festgestellt wurde, erfolgte mit der Volljährigkeit oder spätestens mit 25 Jahren eine Überführung in ein Arbeitshaus oder ein Konzentrationslager. Dies bedeutete die endgültige Ausschließung aus der Volksgemeinschaft. 





5.3 Die ,,Hitlerjugend"


Die Hitlerjugend (HJ), eine Teilorganisation der NSDAP wurde 1926 als Nachwuchsorganisation der SA gegründet. Sie fand zunächst erst wenig Anhänger, doch
die Eingliederung der Jugendarbeit und Jugendpflege in den NS-Staat sowie die Instrumentalisierung für die Durchsetzung nationalsozialistischer Erziehungsziele erfolgte wenige Monate nach der Machtergreifung. Da ab diesem Zeitpunkt Repressalien wie z.B. Benachteiligung der Nichtmitglieder in Schule und Beruf, stieg die Mitgliederzahl sprunghaft an. Am 1.12.1936 erklärte ein Gesetz die Hitlerjugend zur einzigen Staatsjugendorganisation; sie erhielt die Aufgabe, die gesamte deutsche Jugend für den Nationalsozialismus zu erziehen. Ab 1939 verpflichteten Durchführungsverordnungen zur Mitgliedschaft. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Jugendlichen jahrgangsweise erfasst. Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach leitete bis 1940 zentral die HJ-Erziehungstätigkeit. Danach übernahm Arthur Axmann die Verantwortung. Die HJ war in vier Teilorganisationen gegliedert:


1. 10-14jährige: Jungen, deutsches Jungvolk
2. 10-14jährige: Mädchen, Jungmädel
3. 14-18jährige: Jungen, Hitlerjugend (im engeren Sinn)
4. 14-18jährige: Mädchen, Bund Deutscher Mädel (BDM)


Ziel der HJ-Erziehung war der sportlich trainierte, wehrtüchtige, kampffreudige, blindgehorsame, fanatisch national-sozialistisch denkende junge Deutsche. Dementsprechend sahen die Dienstpläne insbesondere Sport, vormilitärische Ausbildung, Aufenthalte in Lagern und weltanschauliche Schulung vor. Auch Motor-, Flieger-, Marine-HJ-Einheiten dienten der Ausbildung von Spezialisten. Die Sondereinsätze der HJ bei Straßen- Altmaterial- und sonstigen Sammlungen sowie bei der Einbringung der Ernte erhöhte die Bedeutung der HJ besonders für die Kriegswirtschaft. Die Reichsführung der HJ erweiterte gleichzeitig ihre Kompetenz als Erziehungsmacht immer mehr. Das Elternhaus und die Schule blieben als Unterstützer des HJ-Erziehungsprogramms geduldet, für die Zukunft war jedoch die Identität von HJ-Führer und Lehrer sowie die Erziehung in Internatsschulen, die auch Adolf-Hitler-Schulen genannt wurden, vorgesehen.14








6. Jugendhilfe nach 1945


Die sozialen Probleme der Jugendlichen waren 1945 gravierender als die nach dem ersten Weltkrieg.

1. über zwei Millionen Kinder und Jugendliche waren aus ihrer Heimat vertrieben
2. 1.6 Millionen Kinder und Jugendliche haben Vater und Mutter verloren
3. über 600.000 Jugendliche waren arbeitslos
4. ein Drittel lebte in unzureichenden Wohnverhältnissen
5. die Jugendkriminalität stieg
6. die Schulen waren überfüllt
7. Tausende Einrichtungen der Jugendfürsorge waren durch den Krieg zerstört15


Um die noch vorhandene Institutionen der Jugendhilfe zu unterstützen, entwickelte der Bundestag 1950 ein neues Förderungsprogramm: den ,,Bundesjugendplan". Dieser hatte die Förderung von Maßnahmen zur Behebung der Jugendarbeitslosigkeit, den Bau von Jugendwohnheimen in Regionen mit günstigen Arbeits- und Ausbildungssituationen, Finanzierung von Integrationshilfen etc. zum Ziel.
Ob der Bundesjugendplan einen Beitrag zur politischen und sozialen Integration der Jugendlichen leistete war zweitrangig, wichtiger war die Aufgabe ,,die nachwachsende Generation weltanschaulich-politisch nach dem Muster der Erwachsenengesellschaft zu
Strukturieren"16
1953 wurden die Einschränkungen im RJWG wieder aufgehoben. Jugendämter, Landesjugendämter und Jugendamtsausschüsse waren wieder verpflichtend. Auch die freie Jugendhilfe hatte das Jugendamt zu fördern. 1961 wurden weitere gesetzliche Veränderungen erbracht: die Pflichtaufgaben des Jugendamtes wurden erweitert, der Pflegekinderschutz und die Heimaufsicht wurde erweitert ebenso die bundesrechtliche Grundlage für die freiwillige Erziehungshilfe. 


Nach 1967 förderte die Fachöffentlichkeit eine grundlegende Reform des Jugendhilferechts.
Nach Jahren der Diskussion, Vorlegung und Zurückstellung der Referentenentwürfe für ein neues Jugendhilfegesetz wurde im Mai 1990 im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (KJHG) verabschiedet.
Einige Schwerpunkte des KJHG sind:



1. Verstärkung der allgemeinen Angebote der Jugendarbeit und -sozialarbeit
2. Verbesserung der Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie (Familienfreizeit und -beratung)
3. Verbesserung der Angebote der Tagesbetreuung von Kindern
4. Verbesserung der Hilfen für junge Volljährige
5. der Schutz personenbezogener Daten im Bereich der Jugendhilfe



Das KJHG verzichtet im Abgrenzung zum Jugendwohlfahrtsgesetz auf diskriminierende Verhaltensbeschreibungen (z.B. ,,Verwahrlosung", ,,Gefährdung der Entwicklung") und darauf bezogene repressive Interventionsstrategien. Auch wird die Familie, als näheres soziale Umfeld, in die Problemanalyse der Jugendlichen miteinbezogen. Leider lässt das KJHG Kinder und Jugendliche nur als ,,Beteiligte" und nicht als ,,Gestaltende" am Jugendhilfeprozess mitwirken, da die Grundauffassung des Gesetzes Eltern als ,,Allzuständige" betrachten und damit die Entwicklung der Gesellschaft (Ein-Kind-Familien, Ein-Eltern-Familien) außer acht lässt. Der Jugendliche soll als Träger von eigenen Rechten verstärkt in den Mittelpunkt des Gesetzes gestellt werden und auch Antrags- und Mitbestimmungsrecht übertragen bekommen. Diese Anforderung erfüllt das KJHG aber nicht.....http://www.student-online.net/Publikationen/313/ 







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