Deutschland Deine Kinder (15)
Dr. Christian Sailer / Foto © Evelin Frerk
Das Gespräch mit Christian Sailer fand im Vorfeld der Einladung der "Bundesinitiative Betroffener von sexualisierter Gewalt und Missbrauch e V., einem Bündnis aus Vereinen und Initiativen von Missbrauchs-Betroffener sowie weiteren individuell von sexuellem Missbrauch betroffener Einzelpersonen statt.
"Eines Tages rief eine Frau bei mir an, die in großer seelischer Not war, sie erzählte eine fast unglaubliche Geschichte, " so schildert er seine erste Begegnung.
Christian Sailer übernahm ihre juristische Vertretung zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Dieser Zivilprozess scheiterte letztlich an der Einrede der Verjährung von Seiten des kirchlichen Heimträgers.
Der Antrag vor der Sozialverwaltung hingegen war sehr erfolgreich. Er führte zu einer lebenslangen Entschädigungsrente. Die Möglichkeit, sich auf eine Verjährung zu berufen, gibt es in diesem Verfahren nicht.
Das Mandat führte den Juristen immer tiefer in das in das Metier der Opfer des sexuellen Missbrauchs in kirchlichen und staatlichen Heimen und über Landesgrenzen hinweg.
Im Sommer 2012 wurde beispielsweise ein Verfahren in Österreich beendet. Tituliert wurde dazu in den Medien: "Heimkind erkämpft erste Opferrente". Das Bundessozialamt erkennt ein ehemaliges Heimkind nach dem Verbrechensopfergesetz an, und dieses ist spiegelbildlich mit dem deutschen Opferentschädigungsgesetz.
Opfern der Heimerziehung, so rät Sailer, sollten einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz bzw. Verbrechensopfergesetz stellen. Von entscheidender Bedeutung ist die Schilderung darüber, was passiert ist, wie das Opfer beschädigt wurde, welche Folgen die Schädigung auf die Entwicklung des Lebenswegs genommen hat.
Sailer spricht von einer besonderen Geduld, die ein Zivilverfahren vom Antrag auf Prozesskostenhilfe bis hin zu einem Richterspruch dem Opfer abverlangt. Ebenso ist damit zu rechnen, dass von Seiten des Täters die Einrede der Verjährung in Anspruch genommen wird.
Opfer der Heimerziehung? – Gilt das Thema bei den Bürger als erfolgreich abgeschlossen? Besteht die Möglichkeit Transparenz herzustellen?
Das Gespräch ist sowohl aus Audio-Datei (hpd Podcast 12/2012) zu hören (17:58) und als hpd-Video zu sehen: RA Dr. Christian Sailer im Gespräch mit Evelin Frerk.
Exkurs: Es gibt noch eine andere Seite
Der Bundestag, beraten durch den "Runden Tisch Heimerziehung hat 2011verabschiedet, was politisch für richtig gehalten wurde. Dafür legte der "Runde Tisch Heimerziehung" im Dezember 2010 seinen Abschlussbericht vor und übermittelte dem Bundestag kurze Zeit darauf das Ergebnis in Form von Empfehlungen. Nach dessen Weisung sollten mit dem 1. Januar 2012 erste Anlaufstellen für die Opfer ehemaliger Heimerziehung über das Bundesgebiet Deutschland verteilt ihre Arbeit aufnehmen, die Anlaufstellen der neuen Bundesländer folgten zur Mitte 2012.
Diese Stellen sind vorgesehen, die von der Bundesregierung veranlassten „Hilfsmaßnahmen“ für die durch Heimerziehung geschädigten Menschen zu regulieren.
Dafür wurde u. a. eingerichtet:
1. "Fonds Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975". Träger sind Bund, Bundesländer, die Evangelische Kirche in Deutschland, die (Erz-)Bistümer der katholischen Kirche im Bundesgebiet, der Deutsche Caritasverband, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Ordensobernkonferenz
2. Die Geschäftsstelle des Fonds, angesiedelt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Aufsichtsbehörde über die Geschäftsstelle des Fonds ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Gebildet wurden sogenannte Lenkungsausschüsse des Fonds „Heimerziehung West“ und des Fonds „Heimerziehung in der DDR“, die sich in einer gemeinsamen Sitzung zu Fragen der Umsetzung beider Fonds getroffen und verständigt haben, so heißt es.
Anzahl der bearbeiteten Anträge: 2.175 plus 226 also 2401 Vereinbarungen konnten durch die Geschäftsstellen „Heimerziehung West“ und "Heimerziehung Ost" abschließend bearbeitet werden.
Von den 120.Millionen Euro, die im Fond bereit stehen, wurden „nur“13.053.691,07 (etwas mehr als dreizehn Millionen Euro) bewilligt. Das führt zu einer durchschnittlichen Leistung von 5.436,77 Euro Bewilligung pro Antrag.
Die Höchstleistung an Hilfsleistung war pro Opfer auf 10.000 Euro in den Anwendungsbestimmungen der Fonds festgelegt. Begründungen zu einen höheren Leistung sind anzunehmen, so seht’s geschrieben.
Die Bereitschaft der Opfer der Heimerziehung, sich auf das Angebotene einzulassen spiegelt eher deren Situation wider: Die Fonds sehen lediglich Hilfsmaßnahmen vor, eine Verzichtserklärung sei zu unterschreiben, Entschädigung kommt noch nicht einmal als Wort vor. Wieder fühlen sie sich als Verlierer, deren Stimme ungehört gehört geblieben. Betroffenen suchen die Anlaufstellen auf, brechen den Vorgang wieder ab.
Weiterhin werden anfänglich leidenschaftliche Diskussionen, Appellen zum Boykott des Fonds beibehalten. Die Diskussionen der Heimopfer in Deutschland und Österreich ist unverändert präsent.
Evelin Frerk
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