Monika Pinterits, Kinder- und Jugendanwältin, kritisiert die Gutachter-Praxis in Obsorgeverfahren.
Oft entscheiden einzelne Gutachten vor Gericht darüber, welcher Elternteil die Obsorge für die gemeinsamen Kinder bekommen soll. Und immer wieder kommen die eingesetzten Gutachter zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen. Oft werden dabei psychische Krankheiten oder Störungen diagnostiziert und im nächsten Gutachten widerlegt. Monika Pinterits spricht von „mehreren solchen Fällen“. Der KURIER berichtete über Alexandra L., der Depressionen und Wahnvorstellungen diagnostiziert wurden. Ein privates Gegengutachten attestierte L. völlige Gesundheit. Die alleinige Obsorge erhielt trotzdem der Vater. Jetzt gibt es einen neuen Fall (siehe unten) .
KURIER: Sie üben Kritik an der Gutachter-Praxis in Obsorgeverfahren. Warum?
Monika Pinterits: Meines Erachtens können Gutachten eine momentane Situation beschreiben. Es bedarf aber einer Diskussion, ob Gutachten wirklich alleine als Entscheidungsgrundlage für Richter Relevanz haben sollen.
Inwiefern?
Ich glaube, Gutachten werden überschätzt. Die Richter sind damit auf der sicheren Seite. Das, was ich aber derzeit immer wieder in Fällen erlebe, ist, dass da Menschen plötzlich als persönlichkeitsgestört erklärt werden.
Können Sie einen konkreten Fall beschreiben?
Ich habe zum Beispiel einen Fall erlebt, wo es drei Gutachten gibt. Das erste sagt: Die Mutter hat eine Persönlichkeitsstörung – das Kind wird zum Vater gegeben. Dann gibt es ein weiteres, psychiatrisches Gutachten. Der Gutachter sagt: keine Persönlichkeitsstörung. Das dritte Gutachten sagt: Beide Eltern
sind geeignet zur Erziehung und sie sollen gemeinsam die Obsorge tragen.
Wie kann es dazu kommen?
Es gibt keine einheitlichen Standards, wie die Erziehungsfähigkeit untersucht werden kann. Es ist modern geworden, dass jemand, zum Beispiel von einem Psychologen, ein Gutachten bekommt, dann zu einem anderem Gutachter geht, der aber vielleicht Psychiater ist, und das Erstgutachten total zerpflückt.
War das früher anders?
Früher sind die Gutachten zumindest nicht derart im Mittelpunkt gestanden wie jetzt. Sie waren ein Teil eines Befunderhebens. Jetzt habe ich das Gefühl, dass nur mehr über Gutachten Entscheidungen getroffen werden. Sämtliche Rechtsanwälte bereiten ihre Klienten darauf vor, wie sie sich beim Gutachten zu verhalten haben. Viele üben die Tests schon im Vorfeld. Das Problem ist, dass immer der besser wirkt, der eloquenter ist. Wenn jemand aber sehr betroffen ist, kann er nicht so eloquent sein. Viele der Gutachten attestieren Persönlichkeitsstörungen, die dann als diese nicht mehr bestätigt werden können. Das kann es nicht sein
Sie sprechen auch von einem „Markt“, auf den immer mehr Gutachter drängen.
Ich erlebe das sehr differenziert. Ich kenne Gutachter, die keine Gutachten mehr machen, weil es sehr aufwendig ist, wenn man’s gut machen will. Aber es werden auch Aufträge entgegengenommen, nur einen Elternteil zu begutachten. Das ist falsch.
Ist es so, dass es der Elternteil leichter hat, der mehr Geld zur Verfügung hat? Etwa, wenn sich der andere ein teures, privates Gegengutachten nicht leisten kann?
Ja, würde ich schon sagen. Deshalb gibt es Überlegungen, übergeordnete Stellen zu entwickeln, wo solche Gutachten überprüft werden können. Meine Vision ist, Obsorgeverfahren weg vom Gericht zu bekommen. Das derzeitige Prozedere wirkt nicht entschärfend, im Gegenteil, die Konflikte wachsen und wachsen.
Was schlagen Sie konkret vor?
Ich möchte die Gutachter, genauso wie die Richter und andere Fachleute, einladen, eine Diskussion darüber zu führen, in welcher Form und aufgrund welcher fachlicher Expertisen Entscheidungen gefällt werden können. Gutachter müssen sehr behutsam sein, weil das, was sie entscheiden, die weitere Biografie eines Menschen bestimmt. Auch die Richter müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn ich frage: ,Wird es in einem Jahr noch Kontakt geben?‘, ist das Glaskugelschauen und Wahrsagen. Aber das hat nix mit Fachlichkeit zu tun.
KURIER: Sie üben Kritik an der Gutachter-Praxis in Obsorgeverfahren. Warum?
Monika Pinterits: Meines Erachtens können Gutachten eine momentane Situation beschreiben. Es bedarf aber einer Diskussion, ob Gutachten wirklich alleine als Entscheidungsgrundlage für Richter Relevanz haben sollen.
Inwiefern?
Ich glaube, Gutachten werden überschätzt. Die Richter sind damit auf der sicheren Seite. Das, was ich aber derzeit immer wieder in Fällen erlebe, ist, dass da Menschen plötzlich als persönlichkeitsgestört erklärt werden.
Können Sie einen konkreten Fall beschreiben?
Ich habe zum Beispiel einen Fall erlebt, wo es drei Gutachten gibt. Das erste sagt: Die Mutter hat eine Persönlichkeitsstörung – das Kind wird zum Vater gegeben. Dann gibt es ein weiteres, psychiatrisches Gutachten. Der Gutachter sagt: keine Persönlichkeitsstörung. Das dritte Gutachten sagt: Beide Eltern
sind geeignet zur Erziehung und sie sollen gemeinsam die Obsorge tragen.
Wie kann es dazu kommen?
Es gibt keine einheitlichen Standards, wie die Erziehungsfähigkeit untersucht werden kann. Es ist modern geworden, dass jemand, zum Beispiel von einem Psychologen, ein Gutachten bekommt, dann zu einem anderem Gutachter geht, der aber vielleicht Psychiater ist, und das Erstgutachten total zerpflückt.
War das früher anders?
Früher sind die Gutachten zumindest nicht derart im Mittelpunkt gestanden wie jetzt. Sie waren ein Teil eines Befunderhebens. Jetzt habe ich das Gefühl, dass nur mehr über Gutachten Entscheidungen getroffen werden. Sämtliche Rechtsanwälte bereiten ihre Klienten darauf vor, wie sie sich beim Gutachten zu verhalten haben. Viele üben die Tests schon im Vorfeld. Das Problem ist, dass immer der besser wirkt, der eloquenter ist. Wenn jemand aber sehr betroffen ist, kann er nicht so eloquent sein. Viele der Gutachten attestieren Persönlichkeitsstörungen, die dann als diese nicht mehr bestätigt werden können. Das kann es nicht sein
Sie sprechen auch von einem „Markt“, auf den immer mehr Gutachter drängen.
Ich erlebe das sehr differenziert. Ich kenne Gutachter, die keine Gutachten mehr machen, weil es sehr aufwendig ist, wenn man’s gut machen will. Aber es werden auch Aufträge entgegengenommen, nur einen Elternteil zu begutachten. Das ist falsch.
Ist es so, dass es der Elternteil leichter hat, der mehr Geld zur Verfügung hat? Etwa, wenn sich der andere ein teures, privates Gegengutachten nicht leisten kann?
Ja, würde ich schon sagen. Deshalb gibt es Überlegungen, übergeordnete Stellen zu entwickeln, wo solche Gutachten überprüft werden können. Meine Vision ist, Obsorgeverfahren weg vom Gericht zu bekommen. Das derzeitige Prozedere wirkt nicht entschärfend, im Gegenteil, die Konflikte wachsen und wachsen.
Was schlagen Sie konkret vor?
Ich möchte die Gutachter, genauso wie die Richter und andere Fachleute, einladen, eine Diskussion darüber zu führen, in welcher Form und aufgrund welcher fachlicher Expertisen Entscheidungen gefällt werden können. Gutachter müssen sehr behutsam sein, weil das, was sie entscheiden, die weitere Biografie eines Menschen bestimmt. Auch die Richter müssen lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn ich frage: ,Wird es in einem Jahr noch Kontakt geben?‘, ist das Glaskugelschauen und Wahrsagen. Aber das hat nix mit Fachlichkeit zu tun.
Neuer Fall
Am 25. Juli 2011 wurden Rebecca „Beth“ Schlesinger ihre dreijährigen Zwillingsbuben Samuel und Benjamin abgenommen. Grund: Ein psychologisches Gutachten, das vom Gericht in Auftrag gegeben wurde und Schlesingers Erziehungsfähigkeit überprüfen sollte. In diesem Gutachten wurden der 28-jährigen Engländerin unter anderem „Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit und im Denken“, „mangelnde kognitive Flexibilität“, sowie „ein erhöhtes Maß an misstrauischer Informationsverarbeitung“ attestiert, also schwerwiegende psychische Auffälligkeiten. Schlesingers Erziehungsfähigkeit galt damit als eingeschränkt. Der Vater erhielt die Obsorge.
Gegengutachten
Nach einem Privatgutachten der Psychiaterin Gabriele Wörgötter, das Beth Schlesinger völlige Gesundheit attestiert, bestellte das Gericht allerdings ein neues Gutachten. Und auch in diesem wird der Cambridge-Absolventin keine Krankheit diagnostiziert, im Gegenteil: „(...) ist festzustellen, dass bei Frau Rebecca Schlesinger weder zum Untersuchungszeitpunkt, noch zu Zeitpunkten in der Vergangenheit ein psychiatrischer Krankheitszustand bestanden hat.“Dem Gericht liegen damit drei Gutachten vor. Zwei sprechen für Beth Schlesinger. Vor Gericht behandelt wurde das neue Gutachten noch nicht – ein Verhandlungstermin steht noch aus. Beth Schlesinger sieht ihre Söhne momentan nur etwa ein Mal pro Woche. „Das ist alles so absurd. Den Kindern geht es bei ihrem Vater schlecht. Sie sprechen kaum, sie sind verstört“, erzählt die 28-Jährige. Insgesamt 38 Besuchstermine habe ihr Noch-Ehemann abgesagt. Aufgeben will sie nicht: „Ich will meine Buben zurück. Es ist die Hölle auf Erden.“
http://kurier.at/chronik/das-ist-wie-glaskugelschauen/1.589.812
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