2013/03/01

„Und alle haben geschwiegen“ Ein lange verschwiegenes Thema: Heimkinder und ihr Schicksal im Westteil Nachkriegsdeutschlands. Das ZDF zeigt nun einen Film, der sich mit dem Leid von Generationen von Kindern befasst.

Von Von Carsten Rave, dpa
Ehemalige Heimkinder protestieren mit Puppen und Plakaten am 15.04.2010) in Berlin gegen Missbrauch in Kinderheimen (Symbolfoto).
Ehemalige Heimkinder protestieren mit Puppen und Plakaten am 15.04.2010) in Berlin gegen Missbrauch in Kinderheimen (Symbolfoto).
©dpa

Berlin. Seit mehr als 40 Jahren hat Luisa Hamilton keinen deutschen Boden betreten. Mit ihrem Mann ist sie nach Boston im US-Staat Massachusetts gezogen und lebt auch heute noch mit ihrer Familie in den USA. Ihr Ziel ist der sogenannte „Runde Tisch“ in Berlin, der das Unrecht von Tausenden Heimkindern in Nachkriegsdeutschland aufarbeiten soll. Äußerlich macht Luisa Hamilton (Senta Berger) einen sehr damenhaften, gefassten Eindruck, innerlich ist sie aber aufgewühlt. Sie will ein langes Schweigen beenden und über die Demütigungen im Heim aussagen.
Im ZDF-Drama „Und alle haben geschwiegen“ an diesem Montag (20.15 Uhr) steht die Figur Luisa Hamilton stellvertretend für viele Hunderttausend Kinder, die zwischen 1949 und 1975 in staatlichen und kirchlichen Erziehungsheimen aufwuchsen - und das unter Schikane: Sie wurden zum Teil geschlagen, eingesperrt, ihre Arbeitskraft wurde missbraucht, es kam zu sexuellen Nötigungen. Erst in jüngerer Zeit entfachte sich eine öffentliche Diskussion um das Thema, das bisher kaum in fiktionalen TV-Stoffen Eingang fand. 

In Deutschland war 2009 zur Aufarbeitung der Runde Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ gegründet worden. Zwei Jahre später beendete er seine Arbeit mit dem Beschluss, materielle und immaterielle Wiedergutmachung an die Opfer zu leisten. 



Doch die Ergebnisse reichen in den Augen von Alexander Markus Homes, selbst Heimkind und Autor des 1981 erschienenen Buches „Prügel vom lieben Gott“, nicht aus: „Es ist völlig inakzeptabel, dass trotz der bekannten Fakten die Kirchen sich noch immer aus der Verantwortung stehlen“, sagte er in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung des Alibri Verlages. „Es findet keine umfassende Aufklärung statt und die Kirchen sind auch nicht gewillt, die Opfer angemessen für das erlittene Leid zu entschädigen.“ 

Im ZDF-Film kommt Luisa, Jahrgang 1948, Anfang der 60er Jahre in ein Heim irgendwo in der Nähe von Frankfurt, fast ganz abgeschottet von der Außenwelt. Ihre Mutter ist schwer krank, der Vater lebt nicht mehr. Luisa (die junge Frau wird von Alicia von Rittberg gespielt) glaubt, es handele sich um eine vorübergehende Zeit, um drei Monate, bis ihre Mutter geheilt ist. Doch sie täuscht sich. Sie wird im Heim-Apparat gleich zu schwerer Arbeit angehalten, die Hoffnung auf ein Abitur zerschlägt sich, sie wird von den Ordensschwestern geschlagen. Schließlich stirbt die Mutter. 

Paul (Leonard Carow) ist im großen Unglück Luisas Chance. Der junge Heiminsasse, der in der Männer-Sektion lebt, bahnt sich mit Luisa die Flucht. Beim Bauern futtern sie sich satt. Sie stehlen sein Moped, werden aber von der Polizei gestellt und zurück ins Heim gebracht. Als sie der Heimleiterin vorgeführt werden soll, ergreift die junge Frau panisch die Flucht und springt aus dem ersten Stock durchs Fenster. Drei Wochen Intensivstation folgen. Vor dem Runden Tisch trifft sie Jahrzehnte später wieder auf Paul (Matthias Habich) - doch der zögert mit seiner Aussage. 

Drehbuchautorin Andrea Stoll berichtet im ZDF-Presseheft, sie habe über das Thema eine kleine „Zeitungsnotiz“ in der „Süddeutschen Zeitung“ gelesen, dann in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Produzentin Doris Zander habe sich von der Idee, das Thema zum Film zu machen, anstecken lassen und nahm sich das Buch „Schläge im Namen des Herrn“ von Peter Wensierski aus dem Jahr 2006 zur Grundlage. Als Regisseur stieg Dror Zahavi („Die Luftbrücke“, „München 72“) in das Unternehmen „Und alle haben geschwiegen“ ein. Seine Tochter Lili, Jahrgang 1992, bekam eine Rolle als Heimkind. 

Hauptdarstellerin Senta Berger (71) erinnert sich an ihre Erfahrungen mit Kindern, die aus Erziehungsheimen zu ihr in die Klasse stießen. „Schon in der Volksschule hatte wir einige Kinder, die dem Rest der Klasse als „Heimkinder“ vorgestellt wurden“, berichtet sie. „Diese Kinder waren sehr schweigsam. Sie beobachteten uns, aber sie spielten nicht mit uns... Wir Kinder waren grausam, wir verstanden, dass die Heimkinder Opfer waren, auch wenn wir nicht wussten warum.“ (dpa)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen