2012/10/24

Gemeinsame elterliche Sorge Ein Vater ohne Kinder

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Das Kinderzimmer in Christoph Kuhns Wohnung bleibt künftig leer.
Das Kinderzimmer in Christoph Kuhns Wohnung bleibt künftig leer. (Bild: Christian Beutler / NZZ)
Die gemeinsame elterliche Sorge soll zum Regelfall werden. Christoph Kuhn nützt dies nichts. Ein Richter hat entschieden, dass seine Ex-Frau mit den Kindern wegziehen darf. Nicht ins nächste Dorf, sondern nach Kuala Lumpur. 
 
Nadine Jürgensen
«Ich könnte heulen», sagt Christoph Kuhn, der 46-jährige Kadermitarbeiter eines börsenkotierten Softwareunternehmens, und dreht den Kopf mit seinen rotblonden Haaren zur Seite. «Aber das macht man ja nicht. Ich muss ja den starken Mann spielen.»

Christoph Kuhn wird voraussichtlich im Dezember Abschied nehmen müssen von seinen beiden Söhnen, die elf und dreizehn Jahre alt sind. Sie werden ihre Mutter ins malaysische Kuala Lumpur begleiten. Der neue Partner der Mutter, mit dem sie zusammen ein einjähriges Kind hat, aber mit dem sie nicht verheiratet ist, hat eine Expat-Stelle im Ausland angeboten bekommen. Der Aufenthalt ist zwar befristet auf zwei bis drei Jahre, doch Christoph Kuhn ist nicht damit einverstanden, dass seine beiden Knaben so weit wegziehen von ihm.

Das klassische Ehemodell

Kuhn und seine Ex-Frau waren zehn Jahre verheiratet. Sie lebten das klassische Ehemodell: Der Mann verdiente den Lebensunterhalt, die Frau betreute Haushalt und Kinder. Vor fünf Jahren liess sich das Paar scheiden, beiden wurde die elterliche Sorge übertragen. Das in der Ehe gelebte Modell wurde weitergeführt. Christoph Kuhn unterstützte die Familie finanziell, seine Ex-Frau betreute die Kinder. Kuhn zahlt an seine Familie jeden Monat rund 7000 Franken, Geld, das «ich jeden Monat hart erarbeite». Seine Söhne nimmt er jedes zweite Wochenende zu sich. Besuche während der Woche, die ihm eigentlich zustehen würden, seien schwierig, sagt Kuhn. Die Hobbys der Kinder kommen dazwischen. Kuhn setzt sich an den Schulen der Kinder für sie ein, beispielsweise wenn es um den Übertritt in die Oberstufe geht oder um die ADS-Erkrankung des älteren Sohnes.

Im Frühjahr wird ihm mitgeteilt, dass die Söhne weit wegziehen sollen, nach Malaysia. Kuhn ist dagegen, doch mit seiner Ex-Frau findet er keine Lösung. Es wird ihm versprochen, die Kinder länger in die Sommerferien nehmen zu können, «doch das ersetzt mir keinen Alltag», sagt Kuhn. «Sie kommen jetzt in die Pubertät, haben Fragen im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Das sind Dinge, die wir nicht über Skype besprechen können.» Das Ritual des gemeinsamen Autowaschens am Wochenende, des gemeinsamen Musizierens – «das fällt einfach weg». Da sich Christoph Kuhn mit seiner Ex-Frau nicht verständigen kann, versucht er, die Ausreise zu verhindern, und reicht ein superprovisorisches Begehren beim Gericht Baden ein, die Pässe der Kinder seien zu hinterlegen.

«Mir wurde die gemeinsame elterliche Sorge übertragen», sagt Kuhn. «Ich sollte doch mitbestimmen können, ob meine Kinder ans andere Ende der Welt ziehen und ob sie bei ihrer Rückkehr sicherlich ein Schuljahr verlieren werden.»
Vor Gericht muss der Vater aufzeigen, wie die Kinder betreut würden, sofern die Kinder ohne Mutter in der Schweiz blieben. Kuhns Lebenspartnerin ist Ärztin, berufstätig zu 70 bis 80 Prozent. Die Kinder würden mittags in der Schule bleiben, den Transport und die Kinderbetreuung würden Kuhn und seine Lebenspartnerin übernehmen. 

Die Gegenseite argumentiert, es treffe nicht zu, dass das gemeinsame Sorgerecht aufgrund der Distanz nicht aufrechterhalten werden könne. Zudem habe sich der Vater, was das Sorgerecht angehe, nicht gross gekümmert. Es sei die Frau gewesen, die in den letzten Jahren sämtliche Erziehungs- und Betreuungspflichten übernommen habe.
Das Protokoll der Kinderanhörung lässt in die Kinderseele blicken. Die beiden Knaben freuen sich auf die «grossen Kühlschränke» und die «schönen Häuser» in Malaysia. Gemäss Protokoll hat sich eine Kluft zwischen Vater und Kindern durch den Prozess aufgetan. Wegen der Betreuungsfrage wurde auch Kuhns Lebenspartnerin in den Prozess hineingezogen. Der Gerichtspräsident schreibt dazu, es sei die Partnerin von Kuhn gewesen, die ihn «zum gerichtlichen Vorgehen animiert» habe. «Es liegt», so schreibt der Gerichtspräsident «keine Instrumentalisierung durch die Mutter vor.» Das sind Aussagen, die Kuhn schmerzen. Und ihn wütend machen. «Kinderwunsch ist doch nicht gleich Kinderwohl», fasst er zusammen. Kuhn fühlt sich übergangen und als Vater entmündigt. «Es ist doch absurd, meine Lebenspartnerin für den Prozess verantwortlich zu machen.»

Der Entscheid

Der Einzelrichter lehnt Christoph Kuhns Begehren ab. Das Besuchsrecht des Vaters werde zwar faktisch erschwert, dies sei indes jedoch kein Grund, «dem getrennten und allein obhutsberechtigten Ehegatten den Wegzug ins Ausland zu verbieten (. . .). Es würde nicht angehen, demjenigen Elternteil, der die ganzen Erziehungslasten trägt, selbst für den Normalfall eine faktische Residenzpflicht in der Nähe des bloss besuchsberechtigten Elternteils aufzuerlegen und ihm damit gegebenenfalls auch einen Umzug innerhalb der Schweiz zu verwehren.» Der Richter zitiert allerdings einen Bundesgerichtsentscheid, bei dem es nicht um die gemeinsame elterliche Sorge, sondern ums Besuchsrecht geht. Kritisiert wird auch der vorgeschlagene Betreuungsplan. Die Mutter sei zu 100 Prozent fähig, ihre Zeit für die Kinder einzusetzen. Das traditionelle Ehemodell rächt sich nun.

Kuhn akzeptiert den Entscheid. Er ist in Sorge um das Verhältnis zu den Söhnen, das seit dem Verfahren einen Bruch erlitten hat. Dennoch fühlt er sich ungerecht behandelt: «Ich schaufle nun Geld, damit meine Ex-Frau die Karriere ihres Freundes unterstützen kann. Es wäre zumindest fair, wenn die beiden heiraten würden und ich von den Alimenten an meine Ex-Frau entlastet würde. Immerhin haben die beiden ein Kind zusammen.» Nach einer Pause sagt Kuhn leise: «Mir tut es wirklich weh, dass die Kinder weggehen. Aber das ist ja scheinbar okay.»

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