2014/04/07

"Akute Kindeswohlgefährdung?" - Endlich wieder vereint


Jugendamt Endlich wieder vereint

 Von 
Eine glückliche Familie – jetzt sogar mit einer kleinen Wohnung.  Foto: Alex Kraus
Weil sie ohne Strom und Wasser in einer Gartenlaube lebten, nahm das Jugendamt einer Familie die Kinder weg. Jetzt sind die Kinder endlich wieder dort, wo sie hingehören. 


 
Ein Bad, ein Zimmer, eine winzige Küche. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Wohnung viel Platz böte. Doch für Liana und Marius* ist das Mini-Appartement im Frankfurter Süden ein Geschenk des Himmels. „Uns geht es gut“, sagt Liana, während sie dem kleinen Felix auf ihrem Schoß das Fläschchen gibt. „Es ist ein gutes Gefühl, nicht mehr auf der Straße zu sein“, ergänzt Marius, der mit der 9-jährigen Gabriela auf der Matratze sitzt, die vorerst als Bett dient. Aber das Wichtigste ist, da sind Marius und Liana sich einig, dass ihre beiden Kinder bei ihnen sind. Denn ohne die Wohnung wären sie wohl noch immer in der Obhut des Jugendamts.
Die Geschichte von Liana und Marius ist eine Geschichte von enttäuschten Hoffnungen, von Angst und Armut. Vor allem ist es aber auch eine Geschichte über die Folgen und Grenzen deutschen Behördenhandelns – und darüber, dass nicht alles gut wird, wenn alle Gesetze und Vorschriften eingehalten werden.

Vor vier Monaten, so erzählen es Liana und Marius, sind sie aus Rumänien nach Frankfurt gekommen. Sie haben im Fernsehen von der EU-Freizügigkeit für Arbeitnehmer gehört, die seit Januar auch für Bulgaren und Rumänen gilt. Kurz zuvor hat Marius seinen Job in einer Aluminiumfabrik verloren – und zugleich die Wohnung, die der Arbeitgeber ihnen stellte. Eine neue Arbeit zu finden sei in Rumänien unmöglich, sagt Marius, gerade wenn man wie er und Liana zur Minderheit der Roma gehöre. „Wir haben gedacht, dass es in Deutschland Arbeit gibt und eine Zukunft für unsere Kinder“, sagt er. „Was hätten wir sonst tun sollen?“
Doch in Frankfurt ergeht es den beiden kaum besser als anderen Rumänen, die ohne Plan und mit naiven Vorstellungen ins reiche Deutschland kommen. Einen Monat leben sie auf der Straße, schlafen auf Parkbänken – mit Gabriela und dem kleinen Felix. Dann haben sie Glück: Eine Frau, die aus Serbien stammt und Rumänisch spricht, bietet ihnen eine Gartenlaube zum Schlafen an. Als Gegenleistung soll Marius ihr im Garten helfen. Die Hütte sei sauber gewesen, sagt Marius. Besser als nichts.


"Akute Kindeswohlgefährdung?"

 

Doch eines Tages Ende Februar stehen unerwartet Polizisten in der Gartenlaube. „Sie haben die Hütte fotografiert“, erzählt Marius. „Nach ein paar Tagen kam das Jugendamt.“ Für die Mitarbeiter des Amtes ist der Fall eindeutig: Die Kinder können nicht in einer Hütte ohne Strom und Wasser bleiben, obwohl sie ansonsten gut versorgt sind. Es drohe akute Kindeswohlgefährdung. Sie nehmen Gabriela und Felix mit und bringen sie in einem Heim unter.
Für Liana und Marius bricht eine Welt zusammen. „Es war grausam für mich“, sagt Liana. „Ich habe nur noch geheult.“ Marius sagt, er habe gar nicht verstanden, warum fehlender Strom dazu führen könne, dass einem jemand die Kinder wegnimmt. „Wir hatten Angst, dass wir sie nie wiederbekommen“, sagt er. Auch für Gabriela ist schwer zu begreifen, warum ihre Eltern sie plötzlich nur noch besuchen dürfen. „Es war schlecht ohne Mama und Papa“, sagt das Mädchen.
Dann haben Liana und Marius wieder Glück. Ein Bekannter schickt sie zum Förderverein Roma, wo sie auf Gabi Hanka treffen. Die Sozialarbeiterin setzt alle Hebel in Bewegung und organisiert über private Spender das kleine Appartement, Möbel, Geld für Nahrungsmittel. Kurze Zeit später erklärt das Jugendamt, die Kinder könnten zurück zu ihren Eltern. Es sei „alles Notwendige da“, wie Fachbereichsleiterin Inge Büttner sagt. Sie sei froh, dass die Lage sich geklärt habe.

Gabi Hanka ist immer noch verärgert über die Inobhutnahme durch das Jugendamt. „Das Leid der Familie wurde nicht verkleinert, sondern vergrößert“, sagt sie. „Für die Kinder ist die Trennung von den Eltern eine traumatische Erfahrung.“ Dass die Familie wieder vereint sei, liege nur an der Solidarität privater Helfer. „Eigentlich ist das Aufgabe des Sozialamtes“, findet Hanka. Die zuständigen Behörden würden ihr wohl widersprechen: Solange nicht geklärt ist, ob Marius und Liana Ansprüche auf Sozialleistungen haben, kann der Familie nur schwer mit Steuermitteln geholfen werden. Kindeswohlgefährdung steht eben auf einem ganz anderen Behördenblatt.

Liana und Marius blicken jetzt in die Zukunft. Gabriela soll bald zur Schule gehen, Marius hat einen Aushilfsjob als Hausmeister gefunden und sucht weiter nach einer festen Stelle. Bis dahin will Gabi Hanka die Aufstockung seines Lohns auf Hartz-IV-Niveau beantragen. Zurück nach Rumänien will die Familie nicht. Sie wollen sich integrieren, Deutsch lernen, sagen Liana und Marius. Sie lächeln. So ganz haben sie ihre Hoffnung auf Deutschland noch nicht aufgegeben.
*alle Namen geändert
 

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