2013/11/06

Mahnwache für die kleine Amelie


von Gert Ungureanu



Balingen - Zwei Wochen lang haben sie jeden Morgen vor dem Balinger Landratsamt Mahnwache gehalten: Cornelia Schneider und ihre Tochter Stefanie Haasis. Das Jugendamt hat der Mutter das Sorgerecht für die jetzt zweijährige Amelie vorläufig entzogen. Zu Unrecht, finden die beiden Frauen.
Das Kreisjugendamt und das Sozialdezernat des Landkreises wollen dazu keine näheren Angaben machen und verweisen auf Datenschutz und laufendes Gerichtsverfahren. Nur so viel ist vom Amt zu erfahren: Das Kindeswohl sei ernsthaft gefährdet gewesen, und in einem solchen Fall habe das Amt einschreiten müssen. Die Entscheidung, ob das Sorgerecht entzogen wird, treffe aber nicht das Jugendamt oder das Sozialdezernat, sondern das Gericht. Den beiden Frauen zufolge geschah das aufgrund einer Aussage des Chefarztes der Rehaklinik Murnau.
Die Geislingerinnen schildern die Sache aus ihrer Sicht: Die Kleine sei Mitte Januar krank geworden, der Kinderarzt habe sie in die Kinderklinik nach Reutlingen überwiesen. In Reutlingen habe es geheißen, das Kind sei zu klein und zu leicht, könne mit 15 Monaten noch nicht laufen, kurz, es sei unterernährt, und das Jugendamt müsse informiert werden. In der Mitteilung ans Jugendamt hieß es, die Situation sei lebensbedrohlich gewesen, das Kind hätte innerhalb von kürzester Zeit sterben können.
"Die Mitteilung bekam auch mein Noch-Schwiegersohn", erzählt Cornelia Schneider. "Er ging zum Amt und behauptete, meine Tochter sei psychisch krank, weil sie sich vegetarisch ernähre. Er sagte, meine Tochter bestelle Sachen im Internet, lasse sich Gemüse mit dem Kühlwagen liefern wasche und putze zu viel." Man habe ihm geglaubt.

Die Kleine kam mit ihrer Mutter in die besagte Reha-Klinik nach Murnau, wo sie von einem Gerichtsmediziner untersucht und für völlig normal befunden worden sei. Am 4. April erhielt Stefanie Haasis ein Schreiben vom Amtsgericht: Den Eltern wurde das Sorgerecht vorläufig entzogen. "Am 15. rief Herr Türk vom Jugendamt in der Rehaklinik an, dass ich mich innerhalb von drei Stunden von Amelie verabschieden muss. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen", erzählt Stefanie Haasis.

Die Kleine sei in eine Pflegefamilie in Frommern gegeben worden, mittlerweile kenne sie auch die Adresse. "Aber ich darf sie seit einem halben Jahr nicht sehen." Aus der Kripo-Akte gehe hervor, "dass sich die Kleine in Murnau zehn Tage lang die Seele aus dem Leib geschrien hat nach der Mama". Die Sache zog weite Kreise, die Ehe der Familie Haasis zerbrach, ihr Noch-Ehemann lebe jetzt in dem gemeinsam gekauften Haus in Balingen. Sie habe dort nichts zu suchen, er habe das Türschloss ausgetauscht. Die anderen beiden Kinder – die achtjährige Schwester und der siebenjährigen Bruder – sind von Freitag, 12 Uhr, bis Dienstag, 12 Uhr, bei der Mutter, die jetzt bei ihrer Mutter im elterlichen Haus wohnt, und von Dienstag, 12 Uhr, bis Freitag, 12 Uhr, beim Vater in Balingen. Auch die anderen beiden Kinder seien laut Akte psychisch auffällig, sagt Cornelia Schneider. Das Mädchen, weil sie gut in Mathe und Deutsch sei, aber nicht schwimmen könne, und der Junge, weil er Türme aus Bauklötzen hoch baue.

Zunächst sei der siebenjährige Junge verschwunden. Tagelang wussten die beiden Frauen nicht, wo er sich aufhielt. "Ich habe am vergangenen Freitag vor der Schule gewartet, da hat die Klassenlehrerin gesagt, sein Papa habe ihn krank gemeldet. Ich habe bei ihm in der Firma angerufen, er hat gemeint ›Der ist doch nicht krank, du bist krank", erzählt sie. Neuerdings behaupte ihr Noch-Ehemann, sie dürfe auch den Jungen nicht mehr sehen, und ihm werde geglaubt.

Jetzt hoffen die beiden Frauen, dass es eine richterliche Entscheidung geben werde und sie die kleine Amelie wieder sehen dürfen, ja sogar zurückbekommen. Aber wann die Verhandlung sein wird, steht nicht fest. Amtsgerichtsdirektorin Traude Kurz will dazu gar nichts sagen und verweist auf ein laufendes Verfahren. "Wir hatten noch nicht einmal Akteneinsicht", sagen die beiden Frauen. "Die seien bei der Gutachterin, hat es geheißen. Uns hat niemand angehört."
 


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