Die zuständige Besuchskommission bemerkte von den Missständen in den Heimen der Haasenburg GmbH nichts. Kein Wunder.
BERLIN/HAMBURG taz | Das Verhältnis von Dr. Christian Haase zur ehemaligen Landesklinik für Psychiatrie in Lübben war inspirierend und ertragreich. Noch bis vor Kurzem verband den Gründer der Haasenburg GmbH, von Haus aus Psychologe, ein ruhender Arbeitsvertrag mit der Klinik, die mittlerweile von der Asklepios-Gruppe betrieben wird.
Christian Haase – heute nennt er sich Christian Dietz – unterhält dennoch weiterhin geschäftliche Beziehungen zu der Klinik: als Gesellschafter der Haasenburg GmbH. So existiert laut Brandenburgischem Bildungsministerium ein Kooperationsvertrag zwischen den Heimen der Haasenburg GmbH und der Kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik in Lübben.
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In der Klinik hat Christian Haase alias Dietz als Psychologe in den psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen einen Rohstoff entdeckt. Denn viele von ihnen mussten nach ihrem Aufenthalt in der Lübbener Psychiatrie weiterhin betreut werden.
So entwickelte der Psychologe die Idee seiner Haasenburg GmbH. „Es schien damals sinnvoll, mit psychiatrischen Grundkenntnissen ein Heim für Schwererziehbare zu machen“, sagt Dr. habil. Wolfram Kinze der taz. Kinze war in der Landesklinik der Vorgesetzte von Haase. Der sei „ein gelehriger Schüler“ gewesen, erinnert sich Wolfram Kinze.
Heute scheint es ihm eher unangenehm
Die Kontakte zur Landesklinik und zu Wolfram Kinze waren wichtig für Christian Haase. Sein ehemaliger Chef genießt einen exzellenten Ruf in Brandenburg. Als Wolfram Kinze sich im Jahr 2007 in den Ruhestand verabschiedete, reiste die damalige Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) nach Lübben. Denn Kinze war nicht nur Chefarzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er amtierte auch als ärztlicher Direktor und war damit Klinikchef in Lübben.
Heute kümmert er sich für die CDU um Lübbener Lokalpolitik. Im Gespräch mit der taz Mitte Juni 2013 wirkt er, als sei ihm seine Beziehung zum Gründer der Haasenburg GmbH unangenehm. Vielleicht liegt das daran, dass Kinze seit Jahren den Vorsitz einer „Besuchskommission“ innehat, deren Mitglieder im gesetzlichen Auftrag auch die Haasenburg GmbH inspizieren.
Der Haasenburg-Skandal: Am 15. Juni berichtete die taz anhand interner Dokumente über skandalöse Zustände in den drei Heimen der Haasenburg GmbH. So waren für jugendliche Heimbewohner harte Sanktionen bei Regelverstößen vorgesehen. Es gab Isolierung, manche wurden gar auf Fixierliegen geschnallt. Zudem wurden einige Jugendliche mit Psychopharmaka behandelt. Inzwischen sind vier Kommissionen mit dem Thema befasst, zwei davon wurden nach der Veröffentlichung der Artikel in der taz gebildet.
1. Die Münch-Kommission: Zwei Tage nach den taz-Enthüllungen kündigte die zuständige Ministerin Martina Münch (SPD) in Brandenburg eine Untersuchungskommission an. Mittlerweile wird die Unabhängigkeit dieser Kommission auch in ihrer Partei hinterfragt. Der Vorsitzende, Martin Hoffmann, war als selbstständiger Psychologe für ein Weiterbildungsinstitut tätig, das zum Ministerium gehört. Kritisiert wird auch, dass keine Betroffenen vertreten sind.
2. Die Scheele-Kommission: Weil viele Kinder aus Hamburg in den Heimen der Haasenburg GmbH interniert sind, hat auch die Hansestadt seit dem 24. Juli 2013 eine Kommission. Die Hamburger SPD möchte Kinder weiterhin in geschlossenen Heimen unterbringen, allerdings keine eigene Einrichtung betreiben. Schon im Vorfeld wurde der Kommission daher "Alibi-Nutzen" vorgeworfen. Ein Professor hatte deswegen den Vorsitz abgelehnt.
3. Die Haasenburg-Kommission: Die Haasenburg GmbH gab sich selbst eine Kommission. Vorsitzender war der Hamburger Christian Bernzen. Als die taz berichtete, dass Bernzen zugleich als Anwalt der Haasenburg GmbH tätig war, legte er seinen Vorsitz nieder. Bernzen ist zudem SPD-Schatzmeister in Hamburg und im Landesvorstand.
4. Die Besuchskommission: Sie ist nach Paragraf 2 a des Brandenburgischen Psychisch-Kranken-Gesetzes (BbgPsychKG) tätig. Zuständig ist das Gesundheitsministerium. Den Vorsitz hat Dr. habil. Wolfram Kinze, ehemaliger Chef des Haasenburg-Betreibers.
Im brandenburgischen Gesundheitsministerium scheint Panik in dieser Angelegenheit zu herrschen. So werden die Mitglieder der Besuchskommission wie eine geheime Verschlusssache behandelt. „Eine Weitergabe der Namen an Dritte kommt ohne Zustimmung der Betroffenen nicht in Betracht“, heißt es auf taz-Anfrage. Eine seltsame Verschwiegenheit bei einer gesetzlich geregelten Kommission; andere Bundesländer veröffentlichen die Namen der Mitglieder vergleichbarer Kommissionen.
Nervöse Reaktion
Der taz liegt die Liste der brandenburgischen Besuchskommission vor. Bei Anruf reagiert ein Mitglied entsetzt über die vermeintliche Indiskretion. Warum reagieren die Kontrolleure so nervös? Weil sie die Missstände nicht bemerkt haben? Weil niemand Verantwortung übernehmen möchte? Im Abschlussbericht der Kommission vom 10. Oktober 2012 heißt es zur Haasenburg GmbH lapidar: „Die Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner durch die Besuchskommission habe keine Kritikpunkte ergeben.“
Pikant ist nicht nur die Ahnungslosigkeit der Kommission. Deren Vorsitzender Wolfram Kinze hatte gute Kontakte zum Haasenburg-Gründer. Die beruflichen Beziehungen lassen sich bis ins Jahr 2001 zurückverfolgen. Auf der damaligen Internetseite der Haasenburg GmbH befand sich ein Verweis: „Link zur Homepage des Instituts für Verhaltenstherapie (Brandenburg) GmbH“.
Gründer dieses Instituts: Wolfram Kinze. Auf der Seite von Kinzes Instituts erschien auch der Name Christian Haase im Copyright. Zudem wurde Christian Haase dort auch als „Institutsvorstand“ rubriziert. Bis heute wird das Institut als Partner der Haasenburg GmbH ausgewiesen. Es bestanden außerdem Kooperationsvereinbarungen, wie das Institut der taz bestätigt, momentan würden sich diese jedoch nur auf Praktikanten beziehen.
Wolfram Kinze sitzt noch immer im Vorstand des Instituts für Verhaltenstherapie (Brandenburg) GmbH, das mehrere Ableger in Ostdeutschland betreibt und 2011 einen Bilanzgewinn von mehr als einer Million Euro auswies. Kinze hatte das Institut 1992 gegründet, um die ostdeutschen Psychotherapeuten nachzuschulen. Er setzte sich auf diese Weise für die Anerkennung seiner Ostkollegen im Westen ein. Schon in der DDR war Kinze seit 1977 Chefarzt in der Lübbener Klinik gewesen. Mit dem Institut sollten später die Ansätze der ostdeutschen Verhaltenspsychologie weitergeführt werden. „Niemand im Westen kannte die Forschungslandschaft im Osten. Man musste sich Gehör verschaffen“, sagte Kinze Ende 2012 in einem Interview der Lausitzer Rundschau.
Um welche Ansätze es dabei ging, erkennt man anhand der Seminare, die in Kinzes Institut angeboten wurden. So sollten die Kinderpsychologen auch „Operante Methoden zum Abbau von Verhalten“ erlernen. Zum Repertoire zählten „Bestrafung“, „Löschung“, „Time-Out“. In einer weiteren Rubrik wurde als Konzept auf „Token Economies“ verwiesen, eine Art Dressur, bei der Wohlverhalten mit Chips belohnt wird.
„Körperliche Aktion … denkbar“
Und so finden sich die Methoden, die im Institut für Verhaltenstherapie gelehrt wurden, auch in internen Dokumenten der Haasenburg GmbH wieder. Auch hier ist von einer „Löschung“ des Verhaltens die Rede. Und als Methode zur Verhaltensänderung wird „Bestrafung“ – „körperliche Aktion … denkbar“ benannt.
„Löschung“, sagt Kinze der taz, sei ein „üblicher Begriff“ in der Fachwelt. Die bekannte Traumatherapeutin Michaela Huber hält diesen Ansatz für völlig überholt und fragwürdig. Beim Institut für Verhaltenstherapie heißt es jetzt auf Anfrage: „Der Begriff des ’Bestrafens‘ ist an dieser Stelle unangebracht.“
Wolfram Kinze ist der Vorsitzende der Besuchskommission, die laut Brandenburgischem Psychisch-Kranken-Gesetz die Haasenburg GmbH „jährlich mindestens einmal“ und „in der Regel unangemeldet“ kontrollieren sollte. Allerdings wurden weder alle drei Heime der Haasenburg GmbH untersucht, noch geschah dies unangemeldet. Kinze sagt, unangemeldet hätte die Kommission womöglich keine Einsicht in die Stellenpläne nehmen können.
Auf Anfrage beim Gesundheitsministerium, warum nicht alle Heime kontrolliert wurden, heißt es, formal handele es sich nur „um eine Einrichtung mit drei Standorten“.
Landesjugendamt untätig
Neben Wolfram Kinze sitzt auch Anita Stöhr in der Besuchskommission. Sie ist im Landesjugendamt für die Heimaufsicht zuständig und wusste nach taz-Recherchen spätestens seit dem Jahr 2006 von Methoden der „totalen Unterwerfung“ in der Haasenburg GmbH (siehe taz vom 9. 7.). Mehrfach ist sie auf Missstände hingewiesen worden. Trotzdem hat auch sie bei der Inspektion keine Mängel gefunden. Der Kommissionsbericht schreibt hierzu: „Von der Heimleitung wurde die Zusammenarbeit mit den Jugendämtern und dem Landesjugendamt als gut eingeschätzt.“
Entschiedener als die gesetzlichen Kontrolleure war die Haasenburg GmbH. Vor der Einlieferung der Kinder musste eine „Anlage zur Erklärung der Sorgeberechtigten“ unterzeichnet werden, in der folgende mögliche Maßnahmen aufgelistet sind: „das körperliche Unterbrechen, durch Festhalten und ähnliche Maßnahmen“, „das Begrenzen im eigenen Zimmer, im Haus oder im Antiaggressionsraum“, „der Einsatz von Medikamenten“, „die Fixierung im Bett (das Bett wurde besichtigt)“.
Befremdlich klingt der letzte Passus der Erklärung: „Des Weiteren gestatten Sie das Anfertigen von Video- und Tonbandaufzeichnungen Ihres Kindes/Jugendlichen und deren Nutzung für diagnostisches, therapeutisches und Weiterbildungszwecke.“
Weiterbildungszwecke verbanden auch die Haasenburg GmbH mit dem Institut für Verhaltenstherapie und mit der Klinik in Lübben. Chef in letzteren Einrichtungen damals: Wolfram Kinze – der Kommissionsvorsitzende, der nun darauf achtet, dass die Rechte der Kinder in der Haasenburg GmbH nicht mit Füßen getreten werden.
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