2012/04/22

"Der Rechtsstaat muss Internet-Pöbeleien aushalten"

Justizministerin zur Anonymität

"Der Rechtsstaat muss Internet-Pöbeleien aushalten"

Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger (im März 2012): Verbot "hoch problematisch"Zur Großansicht
dapd
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger (im März 2012): Verbot "hoch problematisch"



Klarnamenpflicht, nein Danke: Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich für ein Recht auf anonyme Online-Nutzung ausgesprochen. Anonymität müsse auch online zugelassen werden.

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Passau - Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat sich für das Recht auf Anonymität im Internet ausgesprochen. "Der Rechtsstaat muss Internet-Pöbeleien aushalten", sagte sie auf einer Veranstaltung der Universität Passau am Donnerstag. Die Betreiber von sozialen Netzwerken forderte die Ministerin auf, die Nutzung mit Pseudonymen zuzulassen.

In ihrer Eröffnungsrede erteilte Leutheusser-Schnarrenberger einer generellen Klarnamenpflicht, wie sie von Unionspolitikern eingefordert wird, eine Absage. Auch in einem demokratischen Rechtsstaat gebe es "viele gute Gründe für unbescholtene Internetnutzer, sich anonym oder mit Pseudonym im Netz zu bewegen." Als Beispiel nannte sie unter anderem Missbrauchsopfer, politische Aktivisten, Kranke sowie Kinder und Jugendliche.

Das Telemediengesetz verpflichtet Anbieter, grundsätzlich die anonyme oder pseudonyme Nutzung zu ermöglichen - sofern die technisch machtbar und zumutbar ist.
Im Gegensatz zur vollkommen anonymen Nutzung ist ein Nutzer mit Pseudonym dem Anbieter eines Webdienstes namentlich bekannt, zum Beispiel bei Ebay. Die Ministerin wies daraufhin hin, dass Betreibern in vielen Fällen eine Nutzung ohne Klarnamen zugemutet werden können, weil sie vor unkalkulierbaren Risiken geschützt seien, durch die Regelungen zur Providerhaftung im Telemediengesetz sowie zur Störerhaftung im Zivilrecht.

Ein Verbot von Anonymität und Pseudonymität hieße, "gerade die Minderheitenmeinungen verstummen zu lassen, die eine liberale, pluralistische Gesellschaft erst ausmachen". Ein Verbot wäre daher in Deutschland auch verfassungsrechtlich "hoch problematisch". Das Grundgesetz verknüpfe die Meinungs- und Redefreiheit "gerade nicht mit der Vorgabe, dies stets unter Angaben des eigenen Namens zu äußern."
Pöbeleien gebe es nicht erst, seitdem es Blogs und Foren gebe. In den Straßen, auf Marktplätzen und Foren werde "ganz anonym aus der Menge heraus krakeelt und gespottet", so die Ministerin. "Für ein Mehr an Freiheit durch das Internet" müsse man mit "gelegentlichen anonymen Entgleisungen leben können."


Streit mit dem Innenministerium um Vorratsdaten
 
Nicht nur beim Identitätszwang im Internet vertritt die liberale Ministerin eine andere Meinung als viele ihrer Unionskollegen. Derzeit streitet sie mit dem Innenministerium um die Speicherung von Vorratsdaten.
Die Europäische Union drängt auf ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie zu Vorratsdatenspeicherung. Nachdem ein erster Anlauf vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 kassiert worden war, streitet sich die Koalition um eine Neuregelung. Vor diesem Hintergrundmüssen die Forderungen nach anonymer Netznutzung gesehen werden.


Das Innenministerium, einige Strafverfolger und Hardlinern aus der Union wollen, dass möglichst viele Informationen über die Kommunikation aller Bürger möglichst lange Zeit gespeichert werden und möglichst viele Geheimdienste und Behörden einfach an diese Daten kommen. Der Gesetzentwurf des Justizministerium sieht eine eingeschränkte Vorratsdatenspeicherung vor. Einen Vorschlag des Justizministeriums, der eine anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten für eine Woche vorsieht, lehnt das Innenministerium ab. Das sogenannte "Quick Freeze"-Modell, bei dem Ermittler die Provider zur längeren Speicherung von bestimmten Daten auffordern und mit einem richterlichen Beschluss anschließend darauf zugreifen können, reicht nach Ansicht von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht aus.

Friedrich fordert stattdessen eine verdachtsunabhängige, sechsmonatige Speicherdauer. Er will die Provider außerdem zur Speicherung von E-Mail-Kontakten verpflichten. Anbieter Anonymer Telefondienste sollen protokollieren, wann diese Dienste das erste Mal in welcher Funkzelle genutzt werden. Und er will die Geheimdienste auf all diese Daten zugreifen lassen.


Quelle: Spiegel online

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