2013/11/25

«Das Recht der Kinder ist höher zu gewichten»




Das Parlament hat beschlossen, das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall unabhängig vom Zivilstand der Eltern einzuführen. Über den Zeitpunkt der Umsetzung wird noch gestritten. Ein Kurzinterview zum Thema mit dem Rechtsanwalt und ehemaligen CVP-Nationalrat Reto Wehrli.

Reto Wehrli (48) ist Rechtsanwalt in Schwyz und war von 2003 bis 2011 CVP-Nationalrat. (Bild: zVg.) Reto Wehrli (48) ist Rechtsanwalt in Schwyz und war von 2003 bis 2011 CVP-Nationalrat.
 
Reto Wehrli, gemäss dem Parlament soll das gemeinsame Sorgerecht per 1. Januar 2014 zur Regel werden. Dagegen läuft die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) Sturm. Was halten Sie von diesem Protest?
 
Nichts. Die KOKES begründet ihre Haltung mit operativen Problemen. Das ist schlicht nicht akzeptabel. Höher zu gewichten als Verwaltungsprobleme sind der politische Wille und das Recht der betroffenen Kinder und Eltern, endlich die gemeinsame elterliche Sorge zu erhalten.

Die KOKES möchte die Revision frühestens per 1. Januar 2015 in Kraft setzen, denn sie rechnet mit einer Flut von Gesuchen, da Geschiedene, deren Scheidung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt, das gemeinsame Sorgerecht auch nachträglich noch beantragen können. Ist ein Jahr später so schlimm?
 
Wenn die Kantone organisatorisch derart Probleme haben, wird es in einem Jahr wohl auch nicht besser. Die politische Führung in den Kantonen ist gefordert. Denn das Problem ist nicht die gemeinsame elterliche Sorge, sondern die Kapazität, mit der die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden die Dossiers erledigen. In unserer Kanzlei haben wir Fälle, die seit eineinhalb Jahren auf einen Entscheid warten. 


Die Behörden sind überfordert?
 
Es wird unnötiger Aufwand betrieben. Ein Beispiel: Kürzlich meldete sich ein Ehepaar mit Kindern im Primarschulalter bei mir. Die Eltern wollten das gemeinsame Sorgerecht. Dazu haben die Behörden beide Kinder und die Eltern befragt, wollten von ihnen einen Vermögensnachweis und auch noch eine zweite Befragung durchführen. Dieser riesige Abklärungsaufwand ist völlig übertrieben. Es handelte sich ja nicht um einen Streitfall. Es braucht Leute mit Augenmass bei der Umsetzung, es braucht politische Leadership.

Will die KOKES die Unterhaltsregelung gleichzeitig mit dem Sorgerecht neu regeln?
Das wird ihr unterstellt, zumal es ja der ursprünglichen Absicht von Justizministerin Sommaruga entspricht. 

Ist die Koppelung sinnvoll?
 
Nein. Denn das eine kann man ohne das andere in Kraft setzen.
Der Bundesrat befindet laut Bundesamt für Justiz noch diesen Monat über den Zeitpunkt der Einführung. Wie wird er entscheiden?
Ich befürchte, dass Frau Sommaruga den Antrag auf Verschiebung stellt, hoffe aber, dass der Bundesrat den klaren politischen Willen des Parlaments respektiert.
Wird es mit dem neuen gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall zu mehr Streitigkeiten zwischen den Eltern kommen?
Die Eltern haben neu unabhängig von ihrem Zivilstand das gemeinsame Sorgerecht. Durch diesen neuen Regelfall sollte eigentlich weniger gestritten werden.
Sie haben bereits 2004 als Nationalrat dem Bundesrat das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall vorgeschlagen. Als verheirateter, zweifacher Vater sind Sie von der Anpassung nicht betroffen. Weshalb haben Sie sich engagiert?
Aufgrund der praktischen täglichen Erfahrung als Anwalt. Ich habe oft erlebt, dass Väter einem Erpressungsrisiko ausgesetzt sind: «Zahlst du mir, dann gebe ich dir das elterliche Sorgerecht.» Und andererseits haben es sich einige als Zahlväter bequem gemacht und sich nicht um die Kinder gekümmert. Das ist genauso falsch. Jetzt heisst es endlich, auch im Gesetz: Elternsein bedeutet Verantwortung tragen – für beide, immer.



MEHR INFOS
Beschrieb der neuen Elterlichen Sorge auf der Website des Bundes
Infoartikel zum Thema Sorgerecht und Gleichstellung auf humanrights.ch



Erschienen in MM-Ausgabe 48
25. November 2013
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http://www.migrosmagazin.ch/menschen/interview/artikel/gemeinsame-elterliche-sorge-das-recht-der-kinder

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