2013/11/04

OLG Nürnberg: Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Falle des eigenmächtigen Umzugs mit dem Kind



Wird ein Kind von einem Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils in ein anderes Bundesland verbracht, so hat dies keine Auswirkungen auf das Sorgerecht: Die Entscheidung im Sorgerechtsverfahren hängt nur vom Kindeswohl ab.

1. Sachverhalt

Die Kindeseltern sind getrennt lebende Eheleute und haben drei minderjährige Kinder. Im Sommer 2012 haben  sich die Parteien innerhalb des Hauses getrennt. Am 19.01.2013 holten die Eltern der Antragsgegnerin die Kinder und die Antragsgegnerin selbst ab und fuhren mit ihr zu den Eltern. Der Antragsteller erwartete, dass die Antragsgegnerin mit den Kindern nach zwei Wochen zurückkehrte. Am 25.01.2013 rief die Antragsgegnerin den Antragsteller an und teilte diesem mit, dass sie endgültig bei den Eltern verbleiben möchte. Die Kinder würden auch bei ihr bleiben. Daraufhin beantragte der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen und der Antragsgegnerin aufzugeben die Kinder herauszugeben. Die Antragsgegnerin beantragte ihrerseits das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei Kinder auf sie zu übertragen.  Das Familiengericht hat die Antragsgegnerin im Wege einer vorläufigen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Vertretung in Kinder- und Schulangelegenheiten für die gemeinsamen minderjährigen Kinder übertragen. Dagegen legte der Antragsteller Beschwerde ein.

2. Beschluss des OLG Nürnberg vom 22.05.2013 (7 UF 641/13)

Das Oberlandesgericht lehnte die Beschwerde des Antragstellers ab.
a)      Zunächst betonte der Senat ausdrücklich, dass es im vorliegenden Verfahren nur um eine vorläufige Regelung ginge.
b)      Im Rahmen dieser vorläufigen Regelung sei
„zu prüfen, welche von den beiden Seiten beantragten Regelungen insbesondere hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts bis zum voraussichtlichen Ende eines, soweit ersichtlich, noch nicht anhängig gemachten, aber für beide Elternteile möglichen Hauptverfahrens dem Wohle der Kinder am besten entspricht (vgl. § 1671 Abs.2 Nr.2 BGBG). Das Kindeswohl hat sich dabei an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern und an seine Geschwister, sowie beachtlich und mit dem eigenen Wohl vereinbar, am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren.“
Dabei betonte das Oberlandesgericht, dass das Verhalten der Antragsgegnerin (Verbringen der Kinder ab dem 19.01.2013) unmittelbar auf die Entscheidung keine Auswirkungen habe. Die eigenmächtige Trennung der Kinder vom anderen Elternteil könne nur eine mittelbare Berücksichtigung finden. Dazu führt das Oberlandesgericht wie folgt wörtlich aus:
 „Im Hinblick auf das vom Antragsteller behauptete Fehlverhalten der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit dem Verbringen der Kinder nach Sachsen ab dem 19.01.2013 („Kindesentziehung“) und die vom Antragsteller daraus abgeleitete Auswirkung auf die zu treffende Entscheidung ist, wie schon gelegentlich der Anhörung, nochmals klarzustellen, dass die gebotene Abwägung nicht an eine Sanktion eines, im vorliegenden Fall möglichen Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren ist (…). Eine eigenmächtige Trennung des Kindes vom anderen Elternteil kann daher nicht als solche, sondern nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie Rückschlüsse auf eine konkrete Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des betroffenen Elternteils zulässt oder konkret festgestellt werden kann, dass der herbeigeführte Ortswechsel aktuell das Wohl des Kindes beeinträchtigt.“
Das Oberlandesgericht hat dann festgestellt, dass die Anhörung der Kinder ergeben habe, dass die Bindung der Kinder an die Antragsgegnerin enger als zum Antragsteller sei und eine Trennung der Geschwister nicht vorgenommen werden könne.
Zusätzlich sei eine Aufrechterhaltung der Lebensmittelpunkts der Kinder bei der Mutter deswegen auch auszusprechen, weil dabei
„eine für die Kinder und den betroffenen Elternteil – hier den Vater – schonende, günstigere und wirtschaftlichere Ausübung des Umgangs des Vaters mit dem Kind möglich ist, als umgekehrt bei dem Aufenthalt beim Vater mit Umgangskontakten der Mutter in M. wäre. Anders als dem Antragsteller bei einem in T. erlebten Umgangswochenende stünde der Antragsgegnerin nämlich in M. keine großzügige Unterkunft zur Verfügung, in der sie während des Umgangs mit den Kinder leben kann.“
Schließlich spreche für die Aufrechterhaltung des Beschlusses des Amtsgerichts, dass ein  nochmaliger Wechsel für die Kindes eine Belastung für die Kinder sein könnte. Insbesondere dann, wenn die Kinder im Rahmen einer Hauptsacheentscheidung  wieder zur Mutter wechseln müssten.

 3. Fazit

Das Oberlandesgericht stellte fest, dass selbst bei einem unterstellten Entzug der Kinder unter Vortäuschung falscher Tatsachen eine andere Entscheidung getroffen würde. Im Ergebnis bedeutet dies faktisch, dass der widerrechtliche Entzug der Kinder von einem Elternteil zum anderen Elternteil keine Auswirkung auf die Sorgerechtsentscheidung hat. Zu mindestens soll dies für die Entscheidung im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens gelten. Ob man diese Auffassung so teilen mag, ist äußerst zweifelhaft. Im Grunde genommen bedeutete dies für den „entziehenden Elternteil“, dass er die Kinder ohne Rücksprache mit dem zurückbleibenden Elternteil mitnehmen kann, ohne dass er dafür belangt wird. Dies ist befremdlich.
Rechtsanwalt Klaus Wille
und Fachanwalt für Familienrecht
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