Ein  früherer Freund der Familie aus Aldingen wirft der Behörde  Nachlässigkeit vor – Tuttlinger Landrat verteidigt seine Mitarbeiter
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Es gibt da diesen gut gemeinten, von  Trotz und Hoffnung getragenen Satz, der ein wenig über die  Hilflosigkeit hinwegtrösten soll, die sich im Angesicht von Unfassbarem  breit macht. Er lautet: So etwas darf sich nie wiederholen. Georg H. ist  einer, den dieser Satz zurzeit umtreibt. Der Enddreißiger hat Mayas  Familie gut gekannt. Er war ungefähr ein Jahr lang – bis Anfang 2011 –  mit Mayas Mutter befreundet. Nicht im Sinne eines Lebensgefährten. „Ich  war wohl schon verliebt in sie, aber sie hat das nicht erwidert“,  erzählt er. Georg H. lebt allein in einer kleinen Wohnung in einem  Nachbarkreis von Tuttlingen. Er ist wegen einer schlimmen, chronischen  Krankheit Hartz-IV-Empfänger, passt jedoch gar nicht ins verbreitete  Klischee.
Unterhaltung vor der Haustür
Seine  Wohnung ist blitzblank, im Wohnzimmer stehen in Vitrinen und auf  Regalen Hunderte von Modellautos, die er selber zusammengebaut hat.  Manche sind raffiniert beleuchtet, auf der Seitenwand eines roten  Lkw-Modells ist das Foto einer hübschen, blonden Frau angebracht. „Das  ist C., Mayas Mutter“, sagt Georg H. Dann holt er sein Handy aus der  Tasche, tippt ein wenig herum und zeigt dem Besucher ein Foto. Es zeigt  ein Baby, vielleicht zwei Monate alt, im Arm von Georg H. „Das ist  Maya“, sagt er. Dann packt er das Handy wieder weg.
Georg H. hat  sich an die Schwäbische Zeitung gewandt, weil er verhindern möchte, dass  sich so etwas wie mit Maya wiederholen kann. Zumindest im Landkreis  Tuttlingen. Nein, er sagt nicht, dass das Jugendamt schuld sei am Tod  des kleinen Mädchens. Aber er ist zutiefst überzeugt, dass die  Mitarbeiter der Behörde – sie ist im Tuttlinger Landratsamt angesiedelt –  fahrlässig oder nachlässig waren in ihrer Betreuung der Familie.
Ein Familienhelfer
Georg  H. hat „drei bis vier Mal“ in der Woche die Kinder beaufsichtigt und  betreut, mal in seiner Wohnung, mal in der Wohnung der Familie. Er hat  auch mal einen Schoppen und Milchpulver für Maya gekauft, weil die  Mutter das vergessen hatte. Er hat immer wieder die Wohnung der Familie  geputzt, Geschirr gespült, aufgeräumt. Kurz: Er hat sich um die Kinder  und ihre Mutter gekümmert, war Familienhelfer.
Insgesamt hat Georg  H. vier Besuche des Jugendamts miterlebt, er meint, sie seien alle  unangemeldet gewesen. „Nicht ein einziges Mal hat der Mann vom Jugendamt  sich die Kinder angeschaut“, sagt er. Zwei Mal sei er in Trossingen im  Wohnzimmer mit den Kindern allein gewesen, während sich der  Jugendamtsmitarbeiter vor der Haustür mit der Mutter unterhalten habe.  „Das Wohnzimmer lag direkt rechts neben dem Hauseingang, der Mann konnte  die Kinder gar nicht sehen.“
Kein Strom und keine Heizung
An  den dritten Besuch erinnert sich Georg H. ganz detailliert. „Wir  wollten zum Einkaufen fahren, C. hat gerade die Haustür abgeschlossen,  ich hatte die Kinder schon ins Auto gesetzt, als der Mann kam.“ Der habe  kurz durch die abgedunkelten Scheiben in Richtung Kinder geschaut und  sich dann mit der Mutter unterhalten. Es sei sehr heiß gewesen. „Ich  habe deshalb die Kinder nach einer Viertelstunde wieder aus dem Auto  geholt und in den Schatten gesetzt. Der Mann vom Jugendamt hat sie nicht  weiter beachtet.“ Nach einer halben Stunde sei man dann zum Einkaufen  gefahren.“ Bei einem vierten Besuch des Jugendamts in der späteren  Wohnung der Familie in Spaichingen – sie lag im ersten Stock – sei Mayas  Mutter die Treppe runtergegangen und habe sich ebenfalls vor der  Haustür mit dem Beamten unterhalten.
Georg H. räumt ein: Selbst  wenn die Beamten sich damals intensiv um die Kinder gekümmert hätten, es  wäre ihnen nichts Negatives aufgefallen. „Sie waren in einem guten  Zustand.“ Aber – und das ist es, was ihn heute umtreibt – wie sollten  die Beamten den rapiden körperlichen Verfall des Kindes später  mitbekommen haben, wenn sie diese Besuchspraktiken beibehielten? Noch  etwas erfüllt den schmächtigen Mann nachträglich mit Verbitterung.  „Immer wieder, auch im Winter 2010, hatte die Familie keinen Strom und  keine Heizung.“ Er selber habe mal mit einem 25-Euro-Rubbelbon für Strom  ausgeholfen. „Warum hat das Jugendamt nichts bemerkt, warum hat keine  Behörde etwas unternommen?“
Landrat: Es gab Besuche
Die  letzte Frage kann der Tuttlinger Landrat Stefan Bär (Freie Wähler)  schnell beantworten. „Frau P. hat von Oktober 2007 bis Juli 2010 keine  Leistungen beantragt“, sagt er. Im Oktober 2009 habe sie um eine  Bescheinigung gebeten, dass sie keine Sozialleistungen erhalte. Die habe  man ihr ausgestellt. Im Juli 2010 habe Frau P. dann wieder Leistungen  beantragt und auch bewilligt bekommen. Und der Ablauf der Besuche vom  Jugendamt? Der Landrat widerspricht der Darstellung Georg Hs. In den  Akten seien zwei unangemeldete Besuche in Trossingen und zwei in  Spaichingen dokumentiert, einer davon ebenfalls unangemeldet. Zum ersten  Besuch in Trossingen: Am 11. Juni 2010 habe die Stadtverwaltung aus der  Bevölkerung einen Hinweis erhalten, man solle nach den Kindern schauen.  Um 10.53 Uhr sei dieser Hinweis per Mail ans Landratsamt weitergeleitet  worden. Um 14.53 sei dann ein Mitarbeiter des Jugendamts unangemeldet  bei Frau P. gewesen.
In einem vierseitigen Aktenvermerk habe der  „sehr erfahrene Mitarbeiter“ festgehalten, dass alle drei Kinder, Frau  P. und ihr Bruder in der Wohnung gewesen seien. Der Beamte habe sich die  Wohnung angeschaut und auch die Kinder. Er habe mit der Hebamme  gesprochen. Ergebnis: „Es war im Grunde alles in Ordnung.“ Bei einem  weiteren Besuch am 16. Juli 2010 habe Frau P. die Tür nicht geöffnet, in  einem Telefonat jedoch angeboten, der Mitarbeiter könne die Kinder  besuchen.
Der Beamte habe dann vom Flur aus sehen können, dass die  kleine Maya schlief. Ein Bub habe eine Beule im Gesicht gehabt. Frau P.  habe erklärt, der Junge sei während eines Besuchs bei seinem Vater  gefallen. Sie sei mit ihm bei der Hausärztin gewesen. Das habe sich  bestätigt. Bär sagt, dass eine Aktenprüfung durch das  Regierungspräsidium Freiburg keinerlei Beanstandung seiner Behörde  ergeben habe. In gewisser Weise steht also Aussage gegen Aussage. Georg  H. ist erbost. Er bleibt bei dem, was er erzählt hat und unterstellt dem  Landratsamt Vertuschungsversuche.
Total abgemagert
Und  dann ist da noch Jennifer G. Auch sie war eine Freundin der Familie P.  und hat in den vergangenen Monaten oft die Kinder betreut. Zum letzten  Mal war das „ein oder zwei Wochen vor Mayas Tod“ der Fall. „Die Kleine  und der Mittlere waren in keinem guten Zustand“, sagt Jennifer G. Maya  sei „total abgemagert“ gewesen und habe bei ihr sieben Teller Nudeln  gegessen und eine Flasche Apfelsaft allein ausgetrunken. „Sie hatte  blaue Flecken, und man konnte die Wirbelsäule sehen.“ Mayas Mutter sei  an diesem Tag auf der Autofachmesse Tuning World in Friedrichshafen  gewesen.
Als sie ihre Kinder wieder abholte, habe sie gesagt, das  sei alles ganz normal. Maya würde immer so viel essen, und die blauen  Flecken rührten daher, dass Maja oft hinfalle. Jennifer G. wollte am  nächsten Tag das Jugendamt anrufen. Sie hat es nicht getan, weil ihr ein  Mann davon abgeraten habe. Wer das war, möchte sie nicht sagen, „weil  der selber auf einem Amt arbeitet“. Die junge Frau macht sich heute  Vorwürfe. „Ich hätte die Polizei rufen sollen, die hätte ihr das Kind  gleich weggenommen.“
(Erschienen: 08.06.2012 20:10)
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