Justizverbrechen werden von der eigenen Zunft nur widerwillig  wahrgenommen. Nichts sehen! Nichts hören! Nichts sagen! Letztmals  geschehen in Naumburg. Dort beging das Oberlandesgericht (OLG) -  objektiv - 
Rechtsbeugung im Wiederholungsfall. Keiner regte sich auf.  Vielleicht, weil das Opfer Kazimir Görgülü heißt und bloß ein  Deutschtürke ist? Zwei Oberinstanzen hatten ihm ein Umgangsrecht mit seinem Sohn  zugebilligt. Der 14. Senat des OLG boykottierte kalt lächelnd alle  Entscheidungen: ein Urteil des Menschengerichtshofes in Straßburg und  mehrere Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts. Dabei hatte Straßburg  nur Menschlichkeit angemahnt: 
Dem Vater müsse "zumindest der Umgang mit  seinem Kind" ermöglicht werden. Das Verfassungsgericht forderte vier Mal  die Befolgung des Spruchs. Doch die Naumburger stellten sich taub. Da  platzte den Karlsruhern der Kragen. Sie nannten den Ungehorsam  "Willkür": Das Menschenrechts-Urteil sei "nicht nur nicht beachtet",  sondern in sein "Gegenteil verkehrt" worden - ein glatter "Verstoß gegen  die Bindung an Gesetz und Recht". So dreist haben Überzeugungstäter erst ein Mal die Autorität des Rechts  herausgefordert: Baader und Meinhof. Der Unterschied: Damals  rebellierten Desperados, heute sind es drei Herren in roter Robe. Wenn  Amtsträger den Aufstand proben, fällt das - theoretisch - unter die  Kategorie Staatsstreich. 
Doch vielleicht tut man den Querulanten im OLG  damit zu viel Ehre an. Sonst schreit die Richterschaft, wenn es ans "Eingemachte" geht, laut  auf. Hier schwieg sie. Diese Apathie ist ein schlimmes Zeichen. Sie  schürt Wiederholungsängste. Schon einmal, 1933, als sich Recht in  Unrecht verkehrte, nahm der "Stand" den Verfall achselzuckend hin. Zwischen dem Verdacht auf Rechtsbeugung und der offiziellen Reaktion  lagen anderthalb Jahre - 500 Tage des Zauderns. 
Der vernichtende  Karlsruher Spruch erging am 23. Juni 2005, die überfällige Anklage wurde  am 23. November 2006 bekannt. Über Druck und Gegendruck hinter den  Kulissen darf spekuliert werden - auch darüber, ob das zuständige  Landgericht Halle wagen wird, gegen seine Oberen zu verhandeln. Was das  OLG am Ende absonderte, gehört ins Raritätenkabinett der Justiz. 
Die  amtliche Pressemitteilung (023/06) bewegt sich - wie ein  Regenbogen-Blatt, das seine Quelle nicht nennen will - im Ungefähren:  "Dem Oberlandesgericht ist bekannt geworden, dass die  Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ... Anklage wegen Rechtsbeugung  erhoben hat." Geflüster hinter der hohlen Hand? Oder dient der Satz ohne Subjekt und  Objekt nur als Aufhänger für eine andere Botschaft? Richter dürften,  heißt es da, "wie jeder andere Bürger auch ihre von der Verfassung  garantierten Rechte wahrnehmen". Das klingt, als wollten sich die  Beschuldigten hinter Formalien verschanzen. (Das tat ein Kollegen-Senat  nicht; er hat Görgülü inzwischen das Umgangsrecht eingeräumt.) 
An anderer Stelle hört sich der OLG-Text an wie das letzte Wort eines  armen Sünders, der um gut Wetter bittet: "Das Oberlandesgericht vertraut  darauf, dass die erhobenen Vorwürfe in einem rechtsstaatlichen  Verfahren geprüft werden." Darauf eigens hinzuweisen, macht ja gerade in  Naumburg vielleicht wirklich Sinn. 
Berliner Zeitung 

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